Marketing ist auch nicht mehr das, was es mal war...
Und das ist gut so!
Heutzutage müssen Unternehmen weniger werben und verkaufen und mehr inspirieren – inhaltlich, bezogen auf ihre Produkte oder Dienstleistungen, aber auch in Bezug auf ihre Werte und ihren "gesellschaftlichen Beitrag".
Ein Unternehmen, das ich in dieser Hinsicht sehr zu schätzen gelernt habe, ist Adobe. Es entwickelt sich kontinuierlich weiter und erfindet sich – zugunsten seiner Kunden und Mitarbeiter – immer wieder neu. Ich unterhalte mich gerne mit Leuten, die dort arbeiten, denn du spürst ihre Leidenschaft und ihren Drang, die Digitalisierung in Deutschland voranzutreiben.
In diesem Fall habe ich mich mit Hartmut König über moderne Geschäftsmodelle, Customer Experience und Werbung unterhalten.
Hartmut König startete seine Karriere bereits 2004 bei Adobe und ist heute als CTO Central Europe für die Lösungen der Experience Cloud verantwortlich. Customer Experience begreift er als ganzheitliche, multidisziplinäre Aufgabe, die das Herzstück jeder erfolgreichen Digitalisierung darstellt.
Hartmut, was war der Grund gleich zweimal zu Adobe zu gehen?
Als ich 2004 das erste Mal bei Adobe eingestiegen bin, war das Unternehmen vor allem bekannt für Photoshop und Acrobat. Selbst Flash gab es damals noch nicht; das war ja noch vor der Akquisition von Macromedia im selben Jahr. Mich hat aber die Herausforderung gereizt ein Consulting Team aufzubauen, als es bei Adobe in Deutschland quasi noch kein Consulting gab. Nach sechs Jahren bin ich in den Vertrieb gewechselt und habe in dort in meiner neuen Rolle Kunden durch einen stärkeren Beratungsansatz an unsere Produkte herangeführt. Wir haben das klassische Vertriebsmodell sozusagen durch "Solution Selling" ersetzt.
Dass ich so viele Jahre bei Adobe bin, liegt daran, dass sich Adobe konstant weiterentwickelt und immer wieder neu erfindet. Durch die zahlreichen Akquisitionen fühlt es sich wie ein Puzzle an, das wir kontinuierlich erweitern. Adobe ist immerhin 35 Jahre alt, fühlt sich aber keineswegs so an.
Irgendwann kam trotzdem die Frage auf, ob ich meine Karriere nicht auch woanders entwickeln kann.
Nach kurzer Zeit außerhalb des Unternehmens bin ich dann Teil der regionalen Geschäftsführung und des Leadership Teams geworden, das sich mit der gesamten Experience Cloud und dem Thema Experience Business beschäftigt.
"Wir helfen dabei, die Digitalisierung in Deutschland voranzubringen", so lautet unsere Mission. Natürlich leben wir davon, dass wir Software verkaufen, aber diese Mission ist eine, die mich persönlich unglaublich inspiriert und motiviert. Es gibt ja immer das Gerede, dass Deutschland in der Digitalisierung hinterherhinkt. Aber gleichzeitig hat kaum jemand eine Antwort auf meine Frage, welche amerikanischen Unternehmen erfolgreich digitalisiert sind. Apple, ja, aber danach wird es schon schmal, denn Google, Facebook und Amazon sind von Grund auf digital.
Aber sie alle haben eines gemeinsam: sie sind Experience Leader.
Sie machen herausragende Produkte, haben eine herausragende Supply Chain oder eine herausragende Logistik. Sie alle verbindet eine herausragende Customer Experience. Die ist bei Tesla sogar besser als das Produkt. Und bei Airbnb oder Uber ist die Experience das Business.
Das sind genau die Unternehmen, die kritisiert werden, die alten Geschäftsmodelle zu zerstören. Wie siehst du das?
Ich zitiere einfach mal Steve Jobs:
"If you don't cannibalize yourself, someone else will."
Wir müssen die Customer Experience in Deutschland vielmehr in den Vordergrund stellen und uns fragen, wie wir darauf ein Business aufbauen können.
Empfehlenswerte Lektüre: Alberto Brea, Amazon did not kill the retail industry (LinkedIn)
Was ist denn die "Experience"? Wie definierst du sie (stellvertretend für Adobe)?
Customer Experience in meiner Definition, das ist aber keine offizielle, ist das Ergebnis vieler guter und weniger schlechter Erlebnisse. Wenn mich eine Marke immer wieder überrascht, dann entsteht Customer Experience als Brand Trust. Weniger schlechte Erlebnisse sind allerdings in der Lage, das sehr schnell wieder zu zerstören, da ihr Impact auf die Customer Experience viel größer ist, als der guter.
Bad news travel fast.
Es heißt ja auch, dass eine gute Experience nicht auffällt. Wenn etwas gut ist, nehmen wir das nicht wahr, denn es entspricht ja eigentlich nur unserer Erwartungshaltung... Alles andere geht ja quasi schon wieder in Richtung Service; oder zumindest weg vom Produkt.
Ja, Produkte werden unwichtiger, austauschbarer. Natürlich nicht völlig, aber der Kunde ist bereit mehr Geld für Produkte auszugeben, wenn guter Service mit einer guten Experience einhergeht – so wie beim iPhone, das ja im Grunde völlig überteuert ist.
Die Experience, wie wir bisher über sich gesprochen haben, betrifft den Moment. Aber was ist mit der Erfahrung, die ich in Vergangenheit mit einer Marke gemacht habe? Was wiegt stärker? Wie lange dauert es, negative Erfahrungen durch positive Erlebnisse wiedergutzumachen?
Experience hat den Markenbegriff völlig verändert. Die Idee Werbung zu schalten, um eine Marke zu etablieren und die Konsumentscheidungen zu beeinflussen, verändert sich. Customer Experience Management ist ein fortwährender Prozess geworden. Durch Konsistenz und Nachhaltigkeit entsteht Markenloyalität.
Das andere Element der Customer Experience ist Inspiration. Ein Freund von mir lebt seit zehn Jahren in London und lässt sich seit zehn Jahren sein Essen nach Hause liefern. Trotzdem geht er in den Supermarkt, aber eben primär zur Inspiration; um zu schauen, ob es was Besonderes gibt. Einen spannenden Wein, neuen Käse etc. Aber die Standards bestellt er online. In Deutschland macht das kaum jemand, weil die Experience nicht stimmt.
Aber nun stell dir mal vor, was du tust, wenn du eine Frischebox mit Obst und Gemüse bestellst und der Anbieter "frei Haus" etwas oben drauf legt, das du vielleicht gar nicht kennst bzw. schon fast vergessen hättest. Du riechst dran, du überlegst dir, wie du es verwenden kannst. Da fängt Kreativität doch erst richtig an! An den Supermarktregalen laufe ich immer an den gleichen Regalen entlang, das ist überhaupt nicht inspirierend. Ein Wochenmarkt ist etwas ganz anderes...
Da spielt aber auch viel Convenience mit rein, oder?
Es gibt schöne Beispiele von Marken, die quasi alles verändert haben, um das möglich zu machen. Adidas zum Beispiel hat den kompletten Produktionsprozess verändert. Vorher haben Retailer ein Jahr vorher auf der ISPO riesige Mengen bestellt, um sie die nächsten ein, zwei Jahre zu vermarkten. Heute kann ich mir die Schuhe individuell gestalten und sie mir innerhalb weniger Tage liefern lassen, weil sie in Europa hergestellt werden. Durch diese Veränderung nehmen viele Adidas neu wahr (Sports Brand? Fashion Brand? Technology Brand? ...), auch wenn sie vorher schon eine tolle Marke war.
Eine Studie von uns hat dazu Folgendes ergeben:
- Bemühe dich um Relevanz im Sinne des Kontextes.
- Sei (überall) dort, wo der Kunde ist und versuche nicht, ihn zu dir zu locken.
- Grenze die Auswahl für deinen Kunden ein, um ihm die Entscheidung zu vereinfachen.
- Differenziere dich durch Experiences, die überraschen und begeistern. Ergänze die Kirsche auf der Sahne.
Das Vertrauen in eine Marke wiederaufzubauen, kann meines Erachtens sehr schnell gehen. Ich bin da optimistisch. Wenn du jetzt eine richtig gute Idee hast, um das Erlebnis (nachhaltig) positiv zu verändern und auf eine Art und Weise, wie das bisher keiner tut, dann werden auch Kunden schnell realisieren, dass du viel cooler bist als die anderen. ;-)
Ein schönes Beispiel ist Tesla: Wie viele anderen Premium Autos kann auch ein Tesla die Höhe des Fahrwerks verstellen. Mit dem Unterschied, dass er sich auch merkt, an welcher Stelle du das getan hast, zum Beispiel in der Einfahrt bei den Schwiegereltern. Wenn du in Zukunft an dieselbe Stelle kommst, macht er das dann automatisch. Das nenn ich außergewöhnliche Experience!
Liegt es an der fehlenden Akzeptanz oder warum sehen wir noch nicht mehr davon?
Das ist ja die spannende Frage! Wir sprechen in diesem Fall ja über personenbezogene Daten und das ist ein sehr sensibles Thema. Da spielt Transparenz eine wichtige Rolle. Wen es interessiert, der sollte Klarheit darüber erhalten, was Unternehmen mit personenbezogenen Daten tun. Wenn dieses Wissen und ein damit einher gehendes Sicherheitsgefühl vorhanden sind, dann funktioniert Personalisierung, wie etwa die Produktempfehlungen bei Amazon, sehr gut – sofern die empfohlenen Produkte tatsächlich relevant sind.
Was wir brauchen ist eine intensive Aufklärung; und zwar durch Experten (keine x-beliebigen TV-Moderatoren). Es ist ja nicht so, dass jeder Nutzer zum Beispiel seine Cookies aktiv verwaltet und dadurch Einfluss auf genau solche Themen nimmt...
Wie wichtig ist der Zeitpunkt für (personalisierte) Werbung?
Extrem wichtig! Facebook zum Beispiel unterscheidet ja drei Zustände:
- Lean back,
- Lean forward,
- On the go.
Je nachdem in welchem Zustand ich mich befinde, bin ich mehr oder weniger empfänglich für Werbung oder Informationen. Im ersten Zustand natürlich viel mehr als im dritten. Wir dürfen aber eben nicht vergessen, dass wir in der Kostenlos-Kultur des Internets irgendwo Werbung akzeptieren müssen.
Gerade im Bereich Mobile Games sehe ich auch den Trend, Spielinhalte durch das Anschauen von Werbung freizuschalten. Das ist doch ein fairer Handel, oder nicht?
Ja, und es ist spannend zu sehen, dass dabei nicht mehr ausschließlich andere Spiele beworben werden, sondern zunehmend Unternehmen wie Coca-Cola oder Wüstenrot diese Chance ergreifen. Die Filme selbst sind noch nicht immer perfekt, aber irgendwo muss man ja anfangen und lernen.
Die Produktion sieht ja heute ganz anders aus. Die Entscheidung für oder gegen ein Creative wird heute durch Daten aus genau diesen Experimenten unterstützt. Aber dafür muss man eben unterschiedliche Varianten bauen; klein, groß, quadratisch, hochkant, kurz, lang etc. und dann auch schauen, zu welcher Uhrzeit und an welchen Tagen die jeweils am besten funktionieren.
Wir, als Unternehmen, müssen lernen, Dinge auszuprobieren, um immer besser zu werden. Dabei muss nicht alles ein Erfolg sein. Auch, oder vor allem, aus Fehlern oder Scheitern können wir lernen. Umso besser, je mehr relevante Daten wir erheben. Da kann uns künstliche Intelligenz und ein strukturierter "Testing Prozess" (Hypothese, Test, Ergebnis, Learning) in Zukunft enorm helfen.
Wir bei Adobe machen für unsere Website bis zu 80 Tests pro Woche. 75 % von denen sind negativ, aber die 25 %, die positiv sind, führen dazu, dass wir heute eine viel höhere Qualität haben als je zuvor.
Der andere Teil ist die Kultur, die ein Unternehmen braucht. Es gibt keinen hierarchischen Freigabeprozess für Content auf der Website sondern es gibt Leute, deren Job es ist zu scheitern.
Fail fast. Fail forward.
Nur wer lernt, kann gewinnen. Genau darum geht's.
In diesem Sinne, vielen Dank, Hartmut!
Das Wichtigste zusammengefasst
- Deutschland hinkt im internationalen Vergleich in der Digitalisierung nicht hinterher. Apple ist eines der wenigen Beispiele für Unternehmen, die die Digitalisierung gemeistert haben.
- Die Customer Experience, als Ergebnis vieler guter und weniger schlechter Erlebnisse, ist der Schlüssel zum Erfolg eines Business und kann sogar das Business an sich sein.
- Marken müssen zunehmend inspirieren, nicht (nur) werben und verkaufen.
- Die Content Produktion sollte durch Daten aus (vorausgehenden) Experimenten unterstützt werden.
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Robert ist Autor des Bestsellers „Content Design“ (Hanser Verlag), unabhängiger Content-Stratege und Gründer dieses Magazins (ehem. „toushenne.de“). Daneben lehrt er Content-Marketing an der FH JOANNEUM sowie Content Design an der ZHAW. Mit über zehn Jahren Erfahrung aus dem Agenturgeschäft, E-Commerce- & SaaS-Unternehmen sowie zahlreichen Freelance-Projekten mit führenden Marken wie Adobe, Bike24 und contentbird, entwickelt er wirksame Strategien für die Optimierung des Content ROI.