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Robert Weller
Content-Stratege, Buchautor und Dozent für Content Marketing.

Adobe Präsident Garrett Ilg im Dialog über die digitale Transformation und den Wert der Customer Experience

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Interviews
Adobe Präsident Garrett Ilg

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„Sicherlich einer der inhaltlich wertvollsten Newsletter, die ich bisher erhalten habe.“

Andreas Hoffmann
Head of Marketing @ OmniCult

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Content und Design sind unzertrennlich, denn beides zahlt maßgeblich auf die User Experience ein – egal, ob auf dem Smartphone, einem Tablet, am großen Bildschirm oder in persona. In einem zunehmend digitalen Umfeld findet quasi ununterbrochen eine Interaktion zwischen Mensch und Marke statt. Jedes Unternehmen, von der Tankstelle bis hin zur Fluggesellschaft, steht demnach vor der Herausforderung, Kundenerlebnisse gezielt zu gestalten.

Design ist in diesem Sinne mehr als nur Farbe oder Linien. Vielmehr ist es ein “freies Format” einer Idee, die du nur zu einem kleinen Teil sehen kannst und zu einem Großteil erleben musst.

Wie Unternehmen diese Customer Experience gestalten können, welche Voraussetzungen dafür notwendig sind und welche Unternehmen diesen Wandel schon erfolgreich angegangen sind, darüber habe ich mich mit Adobes Präsident Garrett Ilg unterhalten ...

Garrett Ilg (Adobe)

Als Präsident von Adobe EMEA sowie Head of Worldwide Enterprise Sales, Partners & Alliances ist Garrett Ilg für das Enterprise Business der Experience Cloud, Creative Cloud und Document Cloud sowie das operative Geschäft in Europa, im Mittleren Osten und Afrika verantwortlich.

Garrett, was war deine bisher unvergesslichste Brand Experience?

Ich habe mit einer Reihe von Unternehmen innerhalb und außerhalb Europas unvergessliche Brand Experiences erlebt. Deutsche Lebensmittelketten wie Aldi treiben ihr digitales Image so weit, dass nicht nur der Mutterkonzern, sondern auch Tochterunternehmen wie Trader Joe’s davon profitieren können. Es ist interessant zu beobachten, wie sich Menschen zu solchen Marken hingezogen fühlen. Käufer lieben beispielsweise die Taschen von Trader Joe’s und nehmen diese überall mit hin.

Anmerkung: Es gibt diese Taschen sogar bei Amazon zu kaufen!


Trader Joe's Taschen bei Amazon

In Deutschland fällt mir als ein vergleichbares Beispiel nur IKEA ein, deren Tüten wir auch so ziemlich überall zu sehen bekommen – im Supermarkt (bei der Pfandabgabe), am Badesee oder beim Shoppen ...

Ein anderes Beispiel ist die Lufthansa, die kontinuierlich ihre Apps für Smartphones ausbaut, um das Reisen bequemer und einfacher zu machen. Ich fliege häufiger mit Lufthansa und bin begeistert. Das digitale Erlebnis vermittelt nicht nur Informationen, sondern spricht mich als Kunden direkt an.

Ich sehe auf den Webseiten unterschiedlichster Fluggesellschaften und Hotels oft auf Basis meiner Suchanfragen personalisierte Inhalte – Inhalte, die mich begeistern, weil sie relevant sind. Wenn ich beispielsweise um die Weihnachtszeit nach Deutschland komme wird mir Werbung für Weihnachtsmärkte ausgespielt, durch die meine Vorfreude auf die Reise noch größer wird.

Für dich ist kontextbasierte Werbung also okay und der Inhalt an sich wichtiger als die werbende Marke?

Die Marke ist wichtig, aber im digitalen Umfeld geht es nicht nur darum, durch Anzeigen eine Transaktion zu bewirken oder plump einzelne (visuelle) Botschaften zu verbreiten. Vielmehr geht es darum, Loyalität aufzubauen.

Die Loyalität unserer Kunden gewinnen wir durch Inspiration, Engagement und Personalisierung. In vielen Branchen ist eine entsprechende Bewegung schon deutlich zu erkennen, die sagt: „Wir konzentrieren uns auf die digitale Welt, nicht nur, weil wir Informationen verbreiten wollen, sondern weil uns der Austausch mit dem Kunden am Herzen liegt.“ Der Inhalt ist dabei erfolgsentscheidend und das Erlebnis, dass der Kunde beim Konsum hat stellt den Wert dar, den er künftig am meisten schätzen wird.

Glaubst du, dass sich diese Unternehmen wirklich mit ihren Kunden austauschen wollen, oder ist das auch nur wieder eine “neue” Art von Marketing?

Da kann ich natürlich nur für Adobe sprechen, aber ich glaube nicht, dass jemand versucht hat, ähnlich wie Adobe, seine Go-To-Market Kanäle als Intermediäre abzubauen. Wir haben unsere digitale Transformation vor vielen Jahren begonnen und verzeichnen seither ein positives Wachstum. Ein weiterer wichtiger Faktor, insbesondere in einem so dynamischen Markt wie dem deutschen, sind die Beziehungen, die wir durch die digitale Kommunikation aufbauen können. Egal ob wir das über Werbekampagnen, direkte E-Mail-Kommunikation oder schlicht die Erlebnisse machen, die wir Konsumenten im Netz bieten, wir haben stets die Chance sie besser kennenzulernen. Und wer seine Kunden kennt, weiß, was sie brauchen.

Insofern: Ja, vielleicht hat es als Werbung angefangen und wurde zu Marketing. Meines Erachtens wird es aber zunehmend ernst gemeinte Kommunikation.

Good to know: Disintermediation ist ein Konzept aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften, das allgemein den Wegfall einzelner Stufen der Wertschöpfungskette beschreibt.

Die Möglichkeit der direkten Kommunikation von Marktteilnehmern mittels des Internets fördert die Disintermediation digitalisierbarer und nicht digitalisierbarer Güter im globalen Informationsmarkt. Dazu gehört beispielsweise der Direktvertrieb von Informationsgütern wie Filmen, Musik, Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, Computer- und Videospielen über elektronische Marktsysteme wie eBay oder Amazon. Zur Disintermediation zählt auch die Herauslösung von Kleinanzeigen, Stellenanzeigen, Immobilienanzeigen aus dem Medium Zeitung hin zur Konzentration auf Online-Informationsplattformen. (Quelle: Wikipedia)

Die Anzahl digitaler Plattformen und Möglichkeiten nimmt immer schneller zu, egal ob wir über Reisen, Gastgewerbe, Finanzen, Produktion, die Gesundheitsbranche oder Regierungen sprechen. Nur wenn wir dabei die Kontrolle behalten können wir uns die eigentliche Frage stellen: Entwickeln wir uns schnell genug, um mitzuhalten?

Wollen bzw. sollten sich Unternehmen denn so schnell entwickeln und immer am Puls der Zeit bleiben? Ich habe das Gefühl, dass gerade Deutsche Unternehmen den Weg in unbekannte Territorien lieber meiden …

Das Erste, was sich jeder klarmachen sollte, ist, dass wir alle in derselben Situation sind. Niemand hat das Patentrezept gefunden. Noch niemand hat die Spitze erklommen. Noch niemand hat diesen Prozess bisher abgeschlossen und ist zur nächsten Tagesordnung übergegangen.

Eben. Und deutsche Unternehmen warten ja gerne ab, bis jemand erfolgreich ist und dann wollen sie es demjenigen innerhalb kürzester Zeit nachmachen.

Was nicht funktioniert, da jedes Unternehmen mit den Herausforderungen seiner eigenen Kunden konfrontiert ist. Entsprechende Lösungen lassen sich nicht kopieren. Außerdem wirst du es kaum schaffen, den Vorsprung deiner Mitbewerber einzuholen, sobald sie sich auf einer Plattform erstmal etabliert haben.

Fakt ist: Du musst deine eigenen digitalen Plattformen immer weiter ausbauen und die Interaktion mit deinen Kunden im Auge behalten. Zufriedenheitsindikatoren wie der Net Promoter Score sind viel mehr als nur Kennzahlen. Es sind Chancen, dich zu verbessern und dein Business voranzutreiben.

Und nebenbei bemerkt: der schwerste Teil der digitalen Transformation sind nicht die neuen Technologien, sondern die Kultur. Wer experimentierfreudig ist, keine Angst vorm Scheitern hat und sich zum ultimativen Ziel setzt, seine Kunden noch besser zu verstehen und ihre Bedürfnisse zu befriedigen, der wird auf lange Sicht die besten und innovativsten Ideen haben.

Worauf müssen Unternehmen beim Anstoß ihrer digitalen Transformation achten?

Zwei Dinge sind wichtig: Zum einen muss die gesamte Führungsebene mit an Bord sein, sonst nimmt der Veränderungsprozess kein gutes Ende. Zum anderen sind Technologiepartner wie Adobe in der Pflicht, Veränderungen nicht nur anzutreiben, sondern auch für positive Ergebnisse zu sorgen. Wir müssen dafür sorgen, dass der Dialog in zwei Richtungen mit dem Markt verläuft, damit wir diese Erwartungen erfüllen und dann weiterarbeiten können.

Dabei geht es um einen langfristigen Prozess, zu dem sich Unternehmen verpflichten müssen.

Welchen Schritt müssen Unternehmen zuerst gehen, um sich in ein “Experience Business” zu transformieren?

Sie müssen ihr eigenes Geschäft verstehen.

Nehmen wir wieder Airlines als Beispiel: Prinzipiell sind sie Transportunternehmen, aber die Erfahrung ihrer Kunden beginnt nun mal nicht erst dann, wenn sie das Flugzeug betreten. Genauso wenig hört es auf, sobald sie es wieder verlassen. Fliegen heißt reisen, egal ob in einem privaten oder geschäftlichen Kontext. Eine Reise muss geplant und über den Flug hinaus gestaltet werden. Der Kunde braucht also Informationen und sucht nach Inspiration. Was mache ich, wenn vor Ort bin? Wo soll ich hin? Je mehr Feedback und Informationen Unternehmen einem Kunden zu diesen Fragen geben können, umso besser wird die Erfahrung seiner gesamten Reise und desto eher wird er an den Ort zurückkehren wollen, an dem die eigentliche Suche begonnen hat – der Website der Airline oder zumindest einem ihrer anderen digitalen Touchpoints.

 

Garrett Ilg über Experience Business

 

Meine letzte Frage: Meinst du, dass Kunden Marken treu sein sollten oder ist es eigentlich anders herum?

Ich denke, Kunden sind loyal gegenüber Marken, aber das sage ich aus einer persönlichen Perspektive. Marken verstärken das Zusammengehörigkeitsgefühl. Hast du eine großartige Marke, will jeder dazugehören.

Durch die Digitalisierung hat jeder die Möglichkeit, über diverse Kanäle selbst zu recherchieren, zu entdecken und Erfahrung zu sammeln. Der Einfluss der Digitalisierung ist stärker als je zuvor. Unternehmen können über neue Wege kommunizieren und ihre Marke gestalten – nicht zuletzt durch Social Media oder Corporate Blogs. Sie haben mehr Möglichkeiten um einen wirklichen Mehrwert zu liefern und aus Kunden eine loyale Fan-Gemeinschaft zu entwickeln.

Umgekehrt kann es einer Marke aber auch schaden, wenn ein Kunde negative Erfahrungen macht und diese im Netz äußert. Das Gute ist, dass die meisten Menschen bereit sind, Marken eine zweite Chance zu geben. Nur wenn es Unternehmen nicht schaffen, Fehler (im Sinne ihrer Kunden) zu korrigieren oder sich der Misstände gar nicht erst bewusst sind oder sie ignorieren, ist eine Marke tatsächlich dem Untergang geweiht.

Für mich ist und bleibt die Marke aber immer noch sehr wichtig.

Was ich aus dem Gespräch mitnehme:

  1. Vor allem Airlines machen mit Blick auf das Kundenerlebnis vieles richtig.
  2. Loyalität entsteht durch Inspiration, Engagement und Personalisierung, nicht durch konstante Bewerbung.
  3. Wir sitzen im Angesicht der digitalen Transformation alle im selben Boot. Noch hat niemand das Patentrezept gefunden und diesen Prozess abgeschlossen.
  4. Der First-Mover-Advantage ist in Hinblick auf neue Plattformen – und vielleicht auch Technologien – einer der wichtigsten Wettbewerbsvorteile überhaupt. Unternehmen müssen mutiger werden und eine Leadership-Rolle einnehmen.
  5. Der schwerste Teil der digitalen Transformation ist der kulturelle Wandel. Kundenzentriertes Denken und Handeln, Experimentierfreude und keine Angst vorm Scheitern sind Merkmale sich erfolgreich transformierender Unternehmen.

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Robert Weller

Robert ist Autor des Bestsellers „Content Design“ (Hanser Verlag), unabhängiger Content-Stratege und Gründer dieses Magazins (ehem. „toushenne.de“). Daneben lehrt er Content-Marketing an der FH JOANNEUM sowie Content Design an der ZHAW. Mit über zehn Jahren Erfahrung aus dem Agenturgeschäft, E-Commerce- & SaaS-Unternehmen sowie zahlreichen Freelance-Projekten mit führenden Marken wie Adobe, Bike24 und contentbird, entwickelt er wirksame Strategien für die Optimierung des Content ROI.

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