Mit Adobe Creative Cloud Express, kurz Adobe CCX, hat der Software-Gigant Ende 2021 überraschend eine neue Plattform präsentiert, die sich primär an Laien richtet, die schnell und unkompliziert Grafiken (und Videos) für Facebook, Twitter & Co. produzieren wollen.
Genau genommen handelt es sich bei CCX um die Weiterentwicklung von Adobe Spark, doch das hat gefühlt kaum jemand als echte Alternative vor allem zu Canva wahrgenommen. Mit der inzwischen – ergänzend zu den Mobile-Apps – verfügbaren Browser-basierten Plattform schließt Adobe diese Lücke und könnte damit schnell zu einer echten Konkurrenz werden.
Ob und wie schnell das geschieht, bleibt abzuwarten. Denn momentan fehlen CCX noch einige wichtige Features, um mit Canva mitzuhalten und es wird sicherlich kein leichtes Spiel, eingefleischte Canva-Fans zu konvertieren.
Das durch Photoshop bekannte Unternehmen aus Kalifornien bedient damit die schnell wachsende Creator Economy¹ und könnte sich in naher Zukunft nicht nur über steigende Nutzerzahlen freuen, sondern auch steigende Einkünfte.
„In dieser einzigartigen Zeit, in der Millionen von Menschen eine persönliche und berufliche Marke aufbauen, freuen wir uns, Creative Cloud Express als einfaches, vorlagenbasiertes Werkzeug auf den Markt zu bringen, das den Prozess der Erstellung, der Zusammenarbeit und des Austauschs vereinheitlicht, sodass jeder mit Leichtigkeit kreativ sein kann“, sagte Scott Belsky, Chief Product Officer und Executive Vice President Creative Cloud von Adobe, bei der Vorstellung von CCX.²
Ein großer Vorteil: Das Onboarding von Creative Cloud Nutzer:innen ist nicht nur einfach, sondern auch vorteilhaft, denn in Photoshop und Illustrator erstellten Assets können in CCX übernommen werden. Ein quasi nahtloser Workflow von stationär zu remote ist dadurch also gewährleistet.
Im Funktionsumfang sind, neben zahlreichen Vorlagen, viele Tools zur Video- und Bildbearbeitung und Umwandlung von Dateiformaten integriert. Darüber hinaus ist natürlich auch Adobe Stock für die Schnellauswahl von Bild- und Videomaterial angebunden. Immerhin eine Million Assets sollen in der kostenlosen Version verfügbar sein.
Disclaimer: Auch wenn ich Adobe CCX und Canva hier weitestgehend objektiv beurteile, so bin ich persönlich einfach langjähriger Adobe-Fan und bewerte das eine oder andere Manko vielleicht nicht so stark negativ bzw. blicke optimistisch in die Zukunft in der Hoffnung, dass Adobe die Plattform schnell weiterentwickelt und wo erforderlich zu Canva aufschließt.
Als Ausgleich zu meiner eigenen Präferenz (und fehlenden Expertise in den Details von Canva) habe ich mit einigen erfahrenen Canva-Nutzer:innen gesprochen und ihre Meinungen integriert.
Ein Blick auf das Adobe CCX Interface und den Workflow
Der erste Blick in Adobe CCX erinnert stark an Canva (siehe Screenshot unten). Im Fokus steht der schnelle Einstieg in ein neues Projekt mithilfe von Format-Vorlagen sowie der Schnellzugriff auf Bild- und Videobearbeitungstools. Über die Navigation links erreichen wir die übergreifenden Bereiche Tutorials, Bibliotheken und Branding (zur Definition von Corporate Design Vorgabe).
Haben wir das gewünschte Format ausgewählt, beispielsweise für einen LinkedIn Beitrag, können wir Text, Fotos, Symbole und andere Designelemente hinzufügen. Die Bearbeitung ist sowohl am Computer als auch per App ähnlich und ähnlich einfach: Kontraste, Filter, Zuschneiden, Animation und andere Funktionen, wie wir sie aus Grafikprogrammen kennen, sind alle verfügbar und mit wenigen Klicks / Taps angewendet.
Der anschließende Download ist als JPG, PNG oder PDF möglich, alternativ können wir das Design direkt teilen (aktuell nur via Facebook oder Twitter) oder per QR-Code in der App auf unserem Smartphone öffnen. Ob ein derartiger Device-Wechsel ein echter Use Case ist…?! In Anbetracht von App-only Features manch einer Social Media App gut möglich.
Randnotiz: Eine Slideshow für LinkedIn (sprich ein mehrseitiges PDF) zu erstellen, scheint bisher noch nicht so unkompliziert möglich wie mit Canva, zumindest habe ich noch keinen Weg entdeckt (siehe Screenshot unten, rechte Seite). Ein Workaround über die Video- bzw. Diashow-Funktion ist zwar möglich, aber so intuitiv wie die Ergänzung weiterer “Seiten” bei Canva ist das noch lange nicht. Hoffentlich legt Adobe dahingehend bald nach.
Canva punktet bei der intuitiven Erstellung von Präsentationen
Vielmehr gibt es zu dem Workflow eigentlich nicht zu sagen. Sowohl Canva als auch Adobe CCX sind ziemlich simpel in ihrer Bedienung. Die Unterschiede liegen momentan noch im Funktionsumfang.
Design-Features für Content-Produzenten
Adobe CCX bietet im Großen und Ganzen dieselben Features wie Canva, der Teufel steckt im Detail. Hier sind ein paar Highlights:
- Brandings – Sowohl Canva (dort heißt es “Brand Kit”) als auch Adobe CCX bieten in der Web-Version (!) einen dedizierten Bereich für Marken, um Logos (verschiedene Varianten sind möglich), Farben und Schriften zu definieren. Diese Presets können wir dann – in der kostenpflichtigen Version – mit einem einzigen Klick auf unsere Projekte anwenden, um eine einheitliche Gestaltung zu gewährleisten. Das erfordert zwar ein bisschen Arbeit vorweg, spart danach aber sehr viel Zeit.
Hier lassen sich sogar mehrere Brandings verwalten, was wohl vor allem für Multi-Brand-Unternehmen, Agenturen und Freelancer relevant ist.
Adobe CCX Brand Settings: Logo, Farbe, Schriften sowie Presets für verschiedene Formate (inkl. Video Intro & Outro)
Tipp: Wer ohne konkrete Markenvorgaben arbeitet und Unterstützung bei der Auswahl passender Schriften sucht, findet entsprechende Empfehlungen für Schriftpaare (sogenannte Font Pairings) direkt im Tool. Ich bin gespannt zu sehen, ob die Integration zu Adobe Fonts (und auch Adobe Color, wo wir schon darüber sprechen …) noch weiter ausgebaut wird. Das Adobe-Ökosystem ist schließlich sehr umfangreich und eine Verzahnung für Nutzer:innen doch eigentlich nur vorteilhaft.
Hilfestellung bei der Auswahl harmonierender Schriftpaare in Adobe CCX
- Bildbearbeitung – Keine Blöße gibt sich Adobe bei der Bildbearbeitung, diese sind wirklich extrem ausgereift. Über die Schnellaktionsleiste können wir in wenigen Klicks Hintergründe entfernen (und manuell nachbearbeiten) und den verbleibenden Bildausschnitt wie gewohnt mittels Filter bearbeiten.
Bemerkenswert im positiven Sinne ist übrigens die Kompressionsqualität und Dateigröße heruntergeladener Grafiken. Bisher hab ich selbst nach dem manuellen Export aus Photoshop noch ein paar Kilobytes pro Bild einsparen können, indem ich bspw. über tinypng.com komprimiert habe. Dieser Schritt scheint nun mit Adobe CCX nicht mehr nötig zu sein und spart mir damit in Summe schon spürbar Zeit. - Remixen – Wer mit Templates arbeitet, kann diese in Adobe CCX ganz einfach bearbeiten. Alle Designelemente sind einzeln anpassbar und austauschbar, und dabei werden sogar sämtliche Filter und Effekte aus dem Original übernommen.
- Videobearbeitung – Zuschneiden, Zusammenführen oder Umwandeln von Videos in GIFs funktioniert schon gut, gerade bei der Erstellung von Videos wirkt CCX aber insgesamt noch nicht so robust wie Canva. Dafür bietet Adobe mit Premiere Rush aber auch eine eigene App (kostenlos) an.
Stephanie Kowalski ist langjährige Canva-Nutzerin und sagt:
„Der Videopool wird von Canva immer weiter ausgebaut und inzwischen verfügt Canva auch über einen eigenen Videoeditor. Für Anfänger in Sachen Videoschnitt und kurzweilige Social Media Beiträge und Storys reicht das völlig aus. Ich muss allerdings zugeben, dass ich den Großteil meiner Videos nach wie vor in Final Cut Pro (Apple) schneide. Das Tool kann einfach weitaus mehr. Was den Videoschnitt angeht, ist meiner Meinung nach Adobe insgesamt besser aufgestellt. Wer schnell einfache Video-Content-Bausteine erstellen will, liegt mit Canva nicht falsch – muss sich aber mit einem simplen Videoeditor zufriedengeben. Mit dem Musik- und Videomaterial lässt sich aber ganz gut arbeiten.“
- Geteilte Creative Cloud-Bibliotheken und geräteübergreifende Synchronisation – Auf Illustrationen und Designs, die du in Illustrator oder Photoshop erstellst (Premiere Rush und Photoshop Express werden derzeit noch nicht unterstützt), kannst du direkt und vor allem geräteübergreifend in CCX zugreifen und in deine Projekte einbinden. Dasselbe gilt für Fotos und allgemein Content-Elemente, die du in deiner Bibliothek sammelst. Für Unternehmen, die ein Auge auf ihre Creative Assets haben (müssen), ist diese Integration enorm hilfreich.
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Was kostet Adobe Creative Cloud Express und was bekommen wir für unser Geld?
Die Kosten für CCX hält Adobe sehr einfach: Es gibt eine kostenlose Version mit limitierter Anzahl an Templates, Stockfotos, Schriften und Kreativelementen und “nur” zwei Gigabyte Cloud-Speicherplatz. Daneben hat Adobe eine Premium-Variante als Abo für 11,89 Euro pro Monat bzw. 118,99 Euro pro Jahr im Angebot (Stand: Januar 2022, siehe die offizielle Pricing Page). Für das Geld bekommen Nutzer:innen
- alle Premium-Templates und -Elemente, einschließlich über 175 Millionen Adobe Stock Fotos und 20.000 lizenzierten Adobe Fonts. Mit der Pro-Version von Canva erhalten Nutzer:innen übrigens Zugriff auf das Angebot von Getty Images, was ehrlich gesagt vergleichbar ist.
- erweiterte Funktionen zur Optimierung von Bildausschnitten, zum Skalieren von Elementen oder für Grafikgruppen
- One-Click/Tap Branding auf Basis der hinterlegten Corporate Design Vorlagen
- Design-Projekte als PDF oder verschiedene Video- und Bildformat exportieren
- 100 Gigabyte Cloud-Speicher
Außerdem umfasst das CCX-Abo Zugriff auf die Premium-Version von Premiere Rush, Photoshop Express, Spark Video und Spark Page.
Ein zusätzlicher Anreiz für das Premium-Angebot könnte zum einen das grundsätzliche Weiterentwicklungspotenzial sein, zum anderen die tiefe (und noch tiefer werdende) Integration zur Creative Cloud und anderen Adobe-Tools wie bspw. ContentCal. Dadurch dürfte in Zukunft insbesondere die Teamarbeit profitieren.
Fazit: Ist Adobe CCX besser als Canva?
Die Antwort lautet nein, zumindest nicht in Summe. Aber Canva ist auch nicht unbedingt besser als CCX. Letzteres bietet hervorragende Bildbearbeitung, die der von Canva technologisch vielleicht schon überlegen ist, in puncto Video muss Adobe aber nachlegen, um eine echte Alternative zu sein.
Auch die Integration weiterer Social Sharing Features via ContentCal könnte für Agentur- und Unternehmenskunden spannend sein und mit Blick auf die Creator Economy wäre die Integration von Kreativ-Tools à la Fresco sicherlich ein denkbar smarter Move.
Die Frage wird sein, ob bzw. wie schnell es Adobe schafft, die Fangemeinde von Canva zu konvertieren und in die eigene Kreativ-Community zu integrieren. Denn das Stimmungsbild zumindest innerhalb meines eigenen (LinkedIn-)Netzwerks ist überwiegend pro Canva – wobei vor allem das intuitive Gesamtpaket gelobt wird und weniger einzelne Features:
Was ich mir außerdem wünsche, sind noch mehr Tutorials oder Nutzungshinweise und Tipps innerhalb des Workspace, sodass Nutzer:innen nicht in einen separaten Bereich (bei CCX gibt es ja den Bereich “Trainings” mit diversen Tutorial-Videos) wechseln und zwischen “learning” und “doing” hin und her springen müssen.
Natürlich gibt es endlose “How to use CCX/Canva”-Videos auf YouTube, aber gerade für Nutzer:innen, die die Plattform hands-on erkunden und erlernen wollen, wäre eine Integration noch angenehmer. Das könnten ja schon einfache Tool-Tipps sein wie
- Kennst du schon die Funktion X? Hier sind ein paar Beispiele, wie du sie nutzen kannst:
- Hey Robert, da du Funktion Y häufig nutzt, solltest du dir unbedingt mal Funktion Z anschauen.
Die Whiteboard-Plattform Miro macht das in meinen Augen schon ziemlich gut durch die Kombination von
- In-App-Messages bei Neuerungen,
- Tool-Tipps (siehe Screenshot) und Nudges³ sowie
- die vielfältige Nutzung des Side Panels (z.B. für Educational und Inspirational Content), das sich mit der Zeit zu einer zentralen Anlaufstelle für Informationen etabliert.
Was würde die Tools aus deiner Sicht noch besser machen?
Ich werde CCX in nächster Zeit auf jeden Fall noch intensiver nutzen, um bspw. Grafiken für meine Blogartikel und Social Media zu erstellen. Das hat mich bisher nämlich immer tierisch genervt, dass ich an ein Gerät gebunden war, auf dem die ganze Design-Software installiert ist. Die Zeiten sind jetzt hoffentlich vorbei!
Updates folgen, stay tuned.
Literaturhinweise und nützliche Links
¹ Geyser, W. The State of the Creator Economy | Definition, Growth & Market Size. Influencer Marketing Hub. 2021.
² Belksy, S. Introducing Creative Cloud Express, a new suite of tools that helps anyone create. Adobe Blog. 2021. Danke Holger Schellkopf für die Übersetzung auf t3n.de! ;)
³ Morys, J. Digital Nudging: So stupst du deine Nutzer in die richtige Richtung. konversionsKRAFT. 2021.
Bogliari, A. Four Reasons Why The Creator Economy Is Booming. Forbes. 2021.
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Robert ist Autor des Bestsellers „Content Design“ (Hanser Verlag), unabhängiger Content-Stratege und Gründer dieses Magazins (ehem. „toushenne.de“). Daneben lehrt er Content-Marketing an der FH JOANNEUM sowie Content Design an der ZHAW. Mit über zehn Jahren Erfahrung aus dem Agenturgeschäft, E-Commerce- & SaaS-Unternehmen sowie zahlreichen Freelance-Projekten mit führenden Marken wie Adobe, Bike24 und contentbird, entwickelt er wirksame Strategien für die Optimierung des Content ROI.