“Product Thinking” ist ein Mindset, das Medien- und Kommunikationsschaffende (neudeutsch: Content Creator) brauchen, um langfristig erfolgreich zu sein. Denn Content wirkt nicht nur inhaltlich und optisch (Webdesign, Typografie etc.), sondern vor allem durch Relevanz für die Zielgruppe, Kontext und eine strategische Zielsetzung.
Speziell in der Medien- und Kommunikationsbranche – und da nehme ich Content Marketing nicht aus – geht es bei der Produktdenke im Kern darum, Angebote nicht nur über einen einzelnen Inhalt zu definieren. Ein Blogartikel, eine Pressemitteilung oder eine Landingpage ergeben noch kein Produkt. Andernfalls hätten sich Abonnements und Paywalls ja nicht so deutlich gegenüber dem Einzelverkauf von Artikeln (Pay-per-Read) durchgesetzt.
Wer Content mit Sichtbarkeit, Wirkung und finanziellem Erfolg anbieten will, braucht dringend Know-how in der Produktentwicklung.
Was das konkret für Content-Schaffende heißt und wie sie ihre Inhalte künftig noch besser als Produkte verstehen können, erklärt Strategieberater Konrad Weber in diesem Gastbeitrag.
Über den Autor
Konrad Weber ist Strategieberater und Coach im Bereich der digitalen Transformation. Seit über 13 Jahren ist er als Brückenbauer zwischen Inhalt und Technologie tätig – vor Beginn seiner Selbständigkeit in 2020 beim SRF. Nebenbei unterrichtet er an verschiedenen Hochschulen in Deutschland und der Schweiz Digitaljournalismus, Innovationsmethoden und Strategieentwicklung.
Weitere Infos: konradweber.ch
1. Gemeinsam “Produkt” definieren
Aus Sicht von Klaus-Peter (KP) Frahm, Mitentwickler des Product Field, fehlt (in der Medienbranche) ein geteiltes Verständnis dafür, was mit “Produkt” überhaupt gemeint ist. Einzelne Beiträge? Formate? Marken (Media Brands bzw. Content Brands)? Media-Angebote?
Hinzu kommt, dass der Produktbegriff in manchen Redaktionen mit gewissen Vorurteilen belegt ist. Frahm weiß, dass “da schnell an die Produktwelt gedacht [wird], für die in den Heften und Sendungen geworben wird. Oder an PR-Agenturen, die versuchen, die Produkte ihrer Kunden in der Berichterstattung zu ‚platzieren‘. Und auf einmal sollen sich Journalist:innen selbst als Produzent:innen von Produkten begreifen, die vermarktet werden müssen wie Zahnpasta? Das löst verständlicherweise zunächst einmal Widerstand aus”.
Früher war Vieles tatsächlich einfacher: Journalist:innen konnten sich voll und ganz auf die Berichterstattung und Geschichten konzentrieren, während andere Abteilungen – meist weit weg von den Redaktionen – sich um die Distribution, Vermarktung und Kommunikation kümmerten.
“Heutzutage sind alle Mitarbeitenden in einer Medienorganisation direkt oder indirekt für den Produkterfolg verantwortlich.”
Das gilt nicht nur für klassische Medienhäuser, die per se was mit “Content” zu tun haben und es am ehesten als Produkt verstehen könnten, sondern auch für alle anderen Unternehmen. Insbesondere jene, die sich durch Content im Markt positionieren und beispielsweise durch die Personal Brands ihrer Mitarbeiter:innen als Autor:innen einen Namen machen und ihre Botschaften dezentral verbreiten wollen.
Damit Product Thinking schneller bzw. stärker Einzug hält, müssen Content-Verantwortliche einsehen, dass die Entwicklung von erfolgreichen Medienprodukten nur dann gelingen kann, wenn alle an einem Strang ziehen: Redaktion, IT, Vertrieb und Marketing, aber auch die vor- und nachgelagerten Bereiche wie Geschäftsführung, Service oder Personal.
Wie gesagt, Content kann selbst zu einem Business werden. Auch für Unternehmen, die sich heute noch nicht als Media Brand verstehen. Red Bull ist wohl eines der bekanntesten Beispiele.
Um damit letztendlich Erfolg zu haben, ist vor allem eine Sache wichtig: das Produkt zu definieren und als das verbindende Element aller Gewerke zu etablieren
2. Mit dem Product Field zum geteilten Verständnis
Mit dem Product Field entwickeln Organisationen eine gemeinsame Sicht auf sämtliche produktbezogenen Aspekte und gewinnen dabei ein geteiltes Verständnis der Zusammenhänge und Wertbeiträge aller Beteiligten. “Das schafft Orientierung und wirft Licht auf mögliche Defizite und Stolpersteine für eine erfolgreiche Produktentwicklung. Und es hilft bei der Auswahl der Methoden und Maßnahmen, mit welchen die erkannten Herausforderungen gelöst werden können”, meint Frahm.
Ein anschauliches Beispiel: Das Product Field für die Content-Strategie
Die Nutzung des Product Fields für die Erarbeitung einer Content-Strategie ermöglicht die Visualisierung verschiedenster Einflussfaktoren und deren Abgleich untereinander. Dabei zwingt sie Content-Strategen quasi dazu, andere Gewerke zu beteiligen und die unterschiedlichen Perspektiven aus Marketing, IT, Vertrieb, Service etc. zu berücksichtigen. Dadurch wird auf einen Blick erkennbar, wo Potenziale liegen. Zum Beispiel durch den Abgleich von Nutzerbedürfnissen mit der aktuellen Content-Ausrichtung oder der Markt- und Konkurrenzsituation mit den eigenen verfügbaren Ressourcen.
Das Product Field schafft also vor allem Klarheit über die eigene Situation/Position, Stärken und Schwächen und macht vielversprechende Handlungsfelder sichtbar.
Es liefert also zunächst keine Lösungen, sondern Insights.
Dafür lässt es sich gut mit anderen Methoden und Frameworks im Kontext Content kombinieren: Einen ersten Schritt in die Richtung des Product Fields lässt sich zum Beispiel mit dem Value Proposition Canvas gehen. Die in diesem Canvas gestellten Fragen (unter anderem nach den Jobs-to-be-done) lösen ähnliche Gedanken aus wie das Product Field – allerdings greift letzteres noch etwas weiter und hilft, die Ausgangslage gesamtheitlicher abzudecken. Wer sich tiefer mit den Bedürfnissen der Nutzer:innen als Grundlage für die Entwicklung einer Content-Strategie und später der Ideenfindung auseinandersetzen will, findet im Persona Canvas die nötige Hilfe.
Zum Weiterlesen
3. Content-Ideen entwickeln
Ich empfehle, beim Context im Sinne der äußeren Zone des Canvas zu beginnen. Das erlaubt uns eine kritische Auseinandersetzung mit
- den Bedürfnissen der Nutzer:innen (Frust und Motivationen),
- den internen Ressourcen (Know-how und Stakeholder) und
- der Marktsituation (Konkurrenz und Plattformanforderungen).
Schritt für Schritt nähern wir uns dadurch der Lösung, respektive der Content-Idee, denn im Kern des Modells geschieht ein Abgleich zwischen der Problemstellung und unserem Lösungsvorschlag – hier eröffnet sich das Wertversprechen und die Positionierung nicht nur der Content-Strategie als Ganzes, sondern eben auch jeder einzelnen Idee.
Davon ausgehend können wir nun also Themen planen, konkrete Content-Ideen ableiten und priorisieren, Protoypen bzw. Content-MVPs konzipieren. Dabei gilt für Markeninhalte und Marketing Content im Grunde dasselbe wie für journalistische Produkte:
- ein klares Nutzen- und Wertversprechen (Value Proposition) in Richtung Konsument:innen.
- eine nutzenstiftende Bündelung – wie eingangs erwähnt, ist ein einzelner Artikel nicht unbedingt als Produkt geeignet. Fassen wir jedoch genug Artikel in einem Narrativ zusammen, entsteht daraus schnell eine Art Magazin oder sogar Buch, das schon eher dem herkömmlichen Verständnis eines Produkts entspricht; siehe dazu meine Gedanken zu Content-Portfolios.
- eine gewohnheitsbildende Wirkung (Ritualisierung, Habitualisierung), wie etwa die Sonntagszeitung zum Frühstück oder die 8-Uhr-Nachrichten im Fernsehen. Wer mit seinem digitalen Produkt längerfristige Wirkung erzielen will, muss auch neue Rituale und eine emotionale Bindung herstellen können.
- ein ganzheitliches Qualitätsverständnis in Inhalt, Nutzererfahrung und Technologie (siehe dazu auch mein Artikel darüber, was wir von Spotify und YouTube über Content Experience lernen können).
- plattformspezifisches Storytelling im Sinne einer Adaption vorhandener Formate (z.B. Radiosendung, TV-Programm oder Printmedium) für andere Plattformen (etwa als Podcast, YouTube Video oder Instagram Story) anstelle der unveränderten Zweitverwertung.
Fazit
Wie du siehst, ist das Product Field vielseitig einsetzbar und ein Tool, das abseits bzw. ergänzend zu etablierten “Content Frameworks” eine neue Perspektive bietet. Es erweitert unser eigenes Verständnis von Content als Business Asset und ist in gewisser ein natürlicher Entwicklungsschritt weg von Content als reines Marketinginstrument hin zu Content als Grundlage für ein eigenes Geschäftsmodell.
Damit der Canvas langfristig hilfreich ist und sich der Aufwand für die Erarbeitung auszahlt, empfehle ich dir abschließend zwei Dinge:
- Betrachte das Product Field nicht als statische Karte, die du einmal im Team erarbeitest und dir dann über deinen Schreibtisch hängst. Inzwischen haben die Entwickler mit Field eine passende Softwarelösung entwickelt, um das Product Field kontinuierlich weiterzuentwickeln.
- Arbeite möglichst viel mit dem Canvas, um wirklich zu verstehen, wie du ihn für deine Zwecke bestmöglich einsetzen kannst. Denn letztendlich ist es auch nur ein Tool, das dir deine Arbeit erleichtern soll. Werd dir daher klar darüber, in welchem Kontext du das Framework verwendest: Hast du bspw. den Context (im Sinne der äußeren Zone) beschrieben und suchst einen passenden Core? Oder umgekehrt? Oder hast du vielleicht schon beides definiert und suchst nach Lücken? Der Canvas bietet auch anteilig spannende Ansätze für die Content-Entwicklung.
Probier’s einfach aus! Das mindeste, was passiert, ist, dass du dich einmal mit allen Kolleg:innen an einen Tisch setzt, um den Canvas zu beschreiben. Allein das ist den Versuch schon wert. ;-)
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Robert ist Autor des Bestsellers „Content Design“ (Hanser Verlag), unabhängiger Content-Stratege und Gründer dieses Magazins (ehem. „toushenne.de“). Daneben lehrt er Content-Marketing an der FH JOANNEUM sowie Content Design an der ZHAW. Mit über zehn Jahren Erfahrung aus dem Agenturgeschäft, E-Commerce- & SaaS-Unternehmen sowie zahlreichen Freelance-Projekten mit führenden Marken wie Adobe, Bike24 und contentbird, entwickelt er wirksame Strategien für die Optimierung des Content ROI.