Sicherlich kennst du alle deine Mitbewerber und hast stets im Blick, wie sie sich durch Content, Marketing und Design in “eurer” Zielgruppe positionieren. Tust du doch, oder?
Aber kennst du auch alle Alternativen, die eure Zielgruppe hat, um ihr Geld, ihre Zeit und ihre Aufmerksamkeit zu investieren?
Das ist viel wichtiger, denn Konsumenten vergleichen nicht mehr nur Produkte und Marken aus derselben “Kategorie” (zum Beispiel: Laufschuhe). Vielmehr vergleichen sie, vergleichen wir alle – überwiegend unterbewusst – quasi jede Erfahrung, die wir in der Vergangenheit gemacht haben mit dem, was wir aktuell erleben. Und damit einher geht auch immer eine Bewertung und kontinuierliche Meinungsbildung.
“Customers don’t compare you to your competitors anymore—they compare you to other positive experiences they’ve had.” – Shep Hyken
Das geht im Endeffekt so weit, dass aus jedem Erlebnis neue Erwartungen an zukünftige entstehen. Wenn sich die Buchung einer Unterkunft über Airbnb einfach angefühlt hat und der Urlaub total erholsam war, warum sollten wir uns jemals wieder mit komplizierten Buchungsportalen von Hotels rumschlagen? Wir wissen ja jetzt, dass das auch bequemer geht.
Oder wann warst du beispielsweise das letzte Mal bei IKEA? Mäandernde Ausstellungsräume als lebendig gewordener Produktkatalog beflügeln unsere Fantasie, halten relevante, kontextbezogene Produktinformationen bereit (einschließlich Preisschilder) und bieten uns ein so geschmeidiges Einkaufserlebnis, wie es anderenorts nur schwer zu finden ist. Das günstige Gastronomieangebot, perfekt positionierte Impulskauf- und Quengelware und ein Lager-ähnliches Abholsystem reduzieren typische Reibungspunkte beim Shoppen noch weiter und werden durch die Belohnung hinter der Kasse in Form eines Hotdogs oder Softeis’ gekrönt.
Tja und nun die Frage an dich: Erleben deine Kunden dasselbe, wenn sie auf deiner Website stöbern oder deinen Onlineshop durchkämmen?
Welchen Content präsentierst du ihnen? Wie präsentierst du ihnen deine Produkte? Hast du ein “Leitsystem”, dem dein Besucher quasi blind folgen und so deine Angebote erleben kann? Warten an jeder Ecke (positive) Überraschungen und fühlt sich der eigentliche Kauf genauso gut an?
Die beste Inspiration für Content und vor allem die Art und Weise, wie du deinen Content gestaltest und nutzt, findest du selten bei deinen Mitbewerbern oder in Form anderer Inhalte. Viel mehr lohnt sich ein Blick auf das, was deine Kunden sonst noch so an, vor allem aber auch abseits eines Bildschirms tun und erleben.
Die “Content Experience”, wie ich sie im Folgenden nennen werde (oder kurz COX), ist vor allem eines: ein emotionales Erlebnis. Sie hängt demnach nicht ausschließlich vom eigentlichen Inhalt und der Gestaltung ab, sondern wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst.
Definition: Was ist “Content Experience”?
“Content Experience” erscheint wie eines dieser “neuen” Marketing-Buzzwords, die hip und wichtig klingen – so wie derzeit jede “Experience”. Tatsächlich steckt aber viel mehr dahinter, als es auf den ersten Blick den Anschein macht.
Randy Frisch, Gründer von Uberflip und womöglich einer der ersten Personen, die diesen Begriff propagiert haben, beschreibt die Content Experience als “das Umfeld, in dem sich unsere Inhalte befinden – wie sie strukturiert sind und wie sie den Nutzer zur Interaktion motivieren”. Diese Aspekte beschränken sich in meinen Augen aber auf das Erlebnis im Hier und Jetzt, also auf das, was wir unmittelbar während des Konsums von Content wahrnehmen.
Wie fühlst du dich jetzt im Moment, während du diesen Artikel liest? Welche Emotionen überwiegen? Neugier? Wertschätzung? Enttäuschung? Rattern deine eigenen Gedanken schon im Hinterkopf? Hast du dir schon unterbewusst vorgenommen, mit Kollegen hierüber zu sprechen?
Das ist zwar schön und gut, ich würde “Experience” aus dem Englischen allerdings noch differenzierter übersetzen und die Erfahrung (Vergangenheit) als Aspekt der Content Experience ergänzen. Ebenso die Erwartungen (Zukunft), die Konsumenten an zukünftige Erlebnisse haben. In der Schnittmenge ergibt sich das, was ich persönlich als Content Experience verstehe.
Wie sieht das Ganze in der Praxis aus?
Spielen wir ein paar Szenarien durch, die wahrscheinlich jeder von uns schon erlebt hat:
Die YouTube Experience – Irrelevante Content-Empfehlungen aber hervorragende Suchergebnisse
Sobald ich YouTube aufrufe, bin ich quasi schon mitten drin in der Content Experience: Zum einen hatte ich einen Grund, warum ich die Video-Plattform aufsuche (z. B. ein Bedürfnis nach Informationen oder Unterhaltung) und demnach auch eine gewisse Erwartungshaltung, was ich dort finden und konsumieren will. Zum anderen sehe ich schon einen individualisierten Feed mit Inhalten, die mich interessieren könnten.
Halten wir hier kurz inne und bewerten die Situation:
Werden meine Erwartungen erfüllt? Nein, eher nicht. Denn selbst Google weiß in diesem Moment nicht, wonach mir der Sinn steht. Will ich ein bestimmtes Musikvideo anschauen? Oder dem angesagten Stand-up-Comedian zuhören? Oder brauche ich eine Anleitung, wie ich meine Jalapeños am besten umtopfe, ohne dass sie mir danach eingehen. Die Empfehlungen, die mir YouTube ausspielt, sind in der Regel irrelevant, da sie auf den Inhalten basieren, die ich in der Vergangenheit konsumiert habe. Und das sind viele und vor allem viele verschiedene!
Stell dir mal vor, Google würde dieses Prinzip auch bei der Google-Suche anwenden und dir auf der Startseite Vorschläge machen, was dich – auf Basis deiner Suchhistorie – interessieren könnte!
Da hat es Spotify definitiv leichter, bei Musikempfehlungen meinen Geschmack zu treffen. Mir gefällt außerdem ihre Herangehensweise, Empfehlungen zu kategorisieren, aber dazu später mehr.
Vielleicht bist du aber auch der Typ YouTube-Nutzer, der bestimmte Accounts abonniert hat und sich jeden Montag auf einen neuen Vlog seiner Lieblings-Influencer freut, dann kann dich der Algorithmus wahrscheinlich glücklich machen. Andernfalls bleibt er wohl eher hinter unseren Erwartungen zurück.
Das macht aber nichts, denn YouTube ist ja eine Suchmaschine! Die meisten Nutzer ignorieren die Empfehlungen und klicken direkt in den Suchschlitz. Jetzt kommt es darauf an, passende Suchergebnisse zu liefern – und das kann YouTube ziemlich gut. Abhängig von den Informationen, die sie von den Nutzern erhalten, natürlich … Mein Test mit dem Suchbegriff „Laufschuhe kaufen“ hat überwiegend relevante Ergebnisse hervorgebracht.
Und nach einem Klick auf ein Video funktioniert das mit den Content-Empfehlungen auch besser, denn nun weiß YouTube ja, wonach ich suche. Zwar ist die Sektion „Nächste Titel“ bei mir auch nicht ganz konsistent auf das gesuchte Keyword bzw. Thema fokussiert, aber es sind doch einige interessante Vorschläge dabei.
An dieser Stelle müssen wir jetzt ohnehin differenzieren:
Sind wir YouTube, die den Nutzer unbedingt auf der Plattform halten wollen, oder sind wir ein Unternehmen, das Videos über YouTube verbreitet, um damit Reichweite und ggf. Klicks auf die eigene Website zu generieren? Ersteres wird der Algorithmus begünstigen, letzteres nicht. Wir müssen als Content-Brand also dafür sorgen, dass wir innerhalb unseres Videos den Nutzer dazu motivieren, zum Beispiel unsere Website aufzurufen. Und wir müssen ihn dann auf einer Seite empfangen, die auf seiner "YouTube Experience“ aufbaut – also bspw. einer eigenen Seite mit Videos. Denn wer eben noch Videos angeschaut hat, will nicht von jetzt auf gleich Texte lesen oder Produktkataloge durchstöbern.
Die Krux an der Sache: Die Suche auf deiner Seite muss genauso gut funktionieren wie die bei YouTube, um dem Anspruch des Nutzers gerecht zu werden. Aber tut sie das heute schon?
Schon gewusst...?
Fast jeder dritte Nutzer greift auf die Suche zurück – sofern sie denn vorhanden ist. Und das sollte sie, denn aktiv suchende Nutzer konvertieren 80 % eher. Eine Studie von bloomreach kam sogar zu dem Ergebnis, dass zwar nur 15 % aller Besucher die Onsite-Suchfunktion nutzen, aber diese 45 % des Gesamtumsatzes ausmachen. Ein Blick in derartige Statistiken rund um die Site Search können zu echten AHA-Momenten führen!
Ein simpler Ausweg besteht darin, deinen Besuchern eine Alternative zur Suche anzubieten und zum Beispiel durch immer neue, kontextuelle Content-Empfehlungen durch dein Content-Angebot zu leiten. Je relevanter diese Empfehlungen sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nutzer ihnen folgen wird. Und desto mehr kannst du letzten Endes steuern, welche Inhalte ein Nutzer konsumiert.
Aber ich greife schon zu weit vor…
Ich denke wir können allein anhand dieses Beispiels folgende typische Charakteristika einer guten Content Experience festhalten:
5 Charakteristika einer wirkungsvollen Content Experience
Aus diesen drei Bereichen können wir nun ein paar Charakteristika ableiten, die eine gute Content Experience ausmachen – und folglich gute Inhalte von weniger guten unterscheiden. Eine wirkungsvolle Content Experience mit Blick auf ihre Effektivität für das Marketing ist
- progressiv, das heißt, dass jeder neue Inhalt (den eine Person konsumiert) auf dem vorangegangenen aufbaut. Es sind also sowohl Lücken in der Kommunikation als auch Redundanzen zu vermeiden – so wie ich es auch zuvor schon im Kontext von Conversational Interfaces beschrieb: Wenn wir unsere Kunden in Echtzeit in einem Dialog begegnen wollen, muss das gesamte Kundenerlebnis Teil dieser Unterhaltung sein – und zwar über alle Touchpoints wie E-Mail, Facebook, Twitter, LinkedIn etc. hinweg. Eine saubere Datenbasis ist dafür offensichtlich essenziell.
- kontinuierlich, das heißt, dass jeder neue Inhalt dem vorherigen in irgendeiner Form ähnelt (z.B. sprachlich oder visuell). Diese Konsistenz gibt dem Konsumenten ein Gefühl der Sicherheit, dass er sich immer noch am richtigen Ort befindet (Stichwort: Digitales Umfeld) und mit derselben Person bzw. Marke interagiert.
- kontextuell relevant, das heißt, dass sie für den Nutzer im Moment von Interesse ist und sich perfekt in die Experience integriert – vom Format (z.B. Pop-ups, Slide-ups, dynamische Elemente etc.), der visuellen Gestaltung und vor allem auch der sprachlichen Tonalität. Relevanz können wir oft daran messen, dass dadurch eine (emotionale) Resonanz entsteht, die sich in Form einer Benutzeraktion messen lässt.
- motivierend und leitend, das heißt, dass der aktuell konsumierte Content den Nutzer dazu motiviert, weitere Inhalte zu konsumieren und ihm dahingehend – kontextuell relevante – Empfehlungen macht. Das Ziel ist es hierbei nicht, einfach nur ein Engagement zu forcieren, sondern den Nutzer entlang seiner “User Journey” zu begleiten, also bspw. von der Ursachenforschung zur Lösungsfindung zu leiten oder von einer “Product Awareness” zu einer Kaufentscheidung. Mithilfe bekannter psychologischer Motivationsfaktoren (Stichwort: Behavior Pattern) können wir dahingehend gezielte Anreize setzen.
- strukturiert, das heißt, dass der Konsument unser gesamtes Content-Angebot ohne große Anstrengung auch auf eigene Faust erkunden kann – weil er erkennt, wie wir Content organisieren (z.B. thematisch kategorisiert oder durch Schlagworte), sofort auf die Suchfunktion aufmerksam wird (und diese erwartungsgemäß gute Ergebnisse liefert; siehe oben) oder schlicht über interne Links von einer zur nächsten Seite navigieren kann.
Okay, mit diesem Verständnis, was eine herausragende Content Experience ausmacht, können wir unsere Website und die Art und Weise, wie wir Besuchern Content anbieten, analysieren.
Podcast-Empfehlung
Über ein paar weitere Gedanken rund um die Content Experience habe ich mich mit Christoph Trappe im Business Storytelling Podcast unterhalten. Die komplette Episode (auf Englisch) findest du auf allen gängigen Plattformen oder gleich hier:
COX-Strategie: Ein systematischer Ansatz zur Optimierung der Content Experience
Folgende fünf Schritte helfen dir, deine Content Experience zu optimieren:
Schritt 1: Zentralisiere deine digitalen Assets
Wie viele Blog-Artikel oder Pressemitteilungen publizierst du monatlich? Wie viele Podcast-Episoden produzierst du? Wie viele Videos drehst du? Wie oft postest du in Social Media?
Wie viele dieser “Content Assets” sammelst du an einem zentralen Ort – zum Beispiel einem Content Management System?
Ich rede (noch) nicht davon, ob du deiner Zielgruppe all diese Inhalte an einem zentralen Ort – etwa einem Content Hub – zur Verfügung stellst, sondern im ersten Schritt ob du überhaupt ein Inventar führst und dir stets bewusst bist, welche Inhalte du überhaupt (digital) vorliegen hast.
Die traurige Realität sieht leider so aus, dass Unternehmen mal hier publizieren und mal dort, und nach ein paar Monaten oder gar Jahren völlig vergessen haben, was sie damals veröffentlicht haben. Das resultiert in unnötiger Arbeit, da oft dieselben Themen “von damals” wieder aufgegriffen, aber eben wieder von Null auf erarbeitet werden. Dabei hätten Unternehmen auf das aufbauen können, was sie schon haben; oder sollte ich sagen: mal hatten…?! Eine weitere Folge sind längere Produktionszyklen.
Schritt 1 in Richtung Content Experience ist demnach die Zentralisierung ALLER Inhalte. Sei es in einem klassischen (Cloud-)Ablagesystem wie Google Drive, einem spezifischen Digital Asset Management System (kurz DAM-System) wie Bynder oder Canto oder einem professionellen Content Management System wie censhare oder Adobe Experience Manager (kurz AEM, siehe Screenshot unten). Letztere formulieren es auf ihrer Website übrigens ziemlich treffend:
Wenn Inhalte in verschiedenen Systemen gespeichert werden und eine einfache Bearbeitung anstatt einiger Minuten ganze Tage dauert, geht das zulasten Ihres Kundenerlebnisses – und Ihr Wettbewerbsvorteil ist dahin. Um diesen Wettbewerbsvorteil langfristig zu erhalten, müssen Sie Inhalte schnell erstellen, abrufen und wiederverwenden können.
Die Vorteile sind klar, oder? Schnelligkeit, Effizienz, Transparenz (intern) und Konsistenz.
Schritt 2: Organisiere deinen Content
Deinen Content im Sinne deiner Nutzer zu organisieren hat einen einfachen Grund: Selbst wenn eine Person organisch, also bspw. über die Google Suche, auf deiner Seite landet, sucht sie nicht nach "Marketing-Content" wie E-Books oder Whitepapern, sondern nach einer Lösung für ein bestimmtes Problem. Wir sind daher gut daran beraten, Content nicht (ausschließlich) nach Formaten, also Textdokumenten, Bildern, Videos, Audiodateien, Logos etc., zu organisieren, sondern nach Anwendungsbereichen und Bedürfnissen.
Viele der eben erwähnten Systeme sind in der Lage, einen Teil der “Organisation” zu automatisieren und können Assets auf Basis von künstlicher Intelligenz beispielsweise verschlagworten (sogenanntes Smart Tagging). Ebenso ermöglichen sie eine Kategorisierung nach Customer Journey Stage, Zielgruppen/Personas oder eben nach konkreten Fragen und Problemfeldern.
Für die interne Organisation würde ich dann noch eine Information zum Zweck – bspw. “Organische Sichtbarkeit” (das, was böse Zungen als “SEO-Content” bezeichnen könnten), Information, Unterhaltung oder Conversion – ergänzen. Auch die Idee Content in Verticals zu gruppieren oder für spezifische Accounts bzw. einzelne Ansprechpartner (Stichwort: Account-Based Marketing) zu markieren finde ich spannend.
Auf diese Weise vereinfachen wir die interne Organisation zwecks Content-Planung, Produktion und Nutzung, erschaffen aber gleichzeitig auch einen großen Mehrwert für Nutzer, wenn diese über die Website gezielt passende Inhalte finden können.
Uberflip ist dafür ein sehr gutes Beispiel (siehe Screenshot): Sie sortieren Content in ihrem Hub primär vertikal, bieten dem Nutzer aber neben einer Freitextsuche auch die Möglichkeit an, nach Formaten wie Videos, E-Books, Podcasts etc. zu filtern.
Uberflip gruppiert Content primär in die Verticals Demand Generation, ABM, Content Marketing und Sales Enablement (Screenshot: uberflip.com)
Der Clou besteht meiner Meinung nach darin, für jedes Asset eine geeignete Anschluss-Empfehlung zu definieren – also Content, den ein Nutzer danach konsumieren sollte, weil es ihn in seiner Journey voranbringt. Idealerweise verknüpfen wir diese Empfehlungen dann auch noch technisch mit Nutzerdaten (Stichwort: Smart Recommendations), sodass einem Nutzer keine bereits konsumierten Inhalte empfohlen werden.
Auf diese Weise ist die Content Experience ein geschlossener Kreislauf. Das sorgt dafür, dass der Konsument gar nicht mehr aufhören kann – und Content Binge Watching ward geboren (dazu gleich ein Beispiel).
Ein Ansatz dafür sind individualisierte “Content Destinations”, wie du sie beispielsweise mit emlen kreieren kannst. Zwar entstehen diese derzeit nur durch manuelle Auswahl, die Plattform befindet sich aber auch noch in der Beta-Phase. Ich erkenne durchaus Potenzial für Machine Learning zur Automatisierung und Optimierung der Content-Selektion sowie der Priorisierung und Empfehlung einzelner Inhalte innerhalb der Destination für unterschiedliche Personen.
Als Alternative zu klassischen Landingpages: kunden- bzw. themenspezifische “Content Destinations” (Screenshot: emlen)
Ein anderer Ansatz ist die “Endless Content Chain”, wie ich sie nenne. Das Search Engine Journal (SEJ) nutzt diese Form der Endlosschleife, indem sie kurz vor Ende eines Artikels bereits den nächsten nachladen und nahtlos dranhängen, sodass sich der Nutzer durch endlose Artikel scrollen kann.
Endlose Verkettung von Content: Wenn ein Artikel direkt in den nächsten übergeht (Screen Record: searchenginejournal.com)
Diese Experience ähnelt einem typischen Social Media-Feed, wie wir ihn aus Facebook, Twitter oder LinkedIn kennen, und birgt leider auch das Risiko, dass wir uns schnell darin verlieren können. Die Herausforderung für Content Experience Designer, respektive Marketer, besteht also darin, eine gewisse Relevanz zu gewährleisten.
Harvard Business Review hat dafür einen innovativen Ansatz gefunden, indem sie mehrere Artikel gezielt in einem “Paket” verknüpfen, wie im Screenshot unten zu sehen. Dabei beginnt unmittelbar nach dem ersten Artikel gleich der zweite, wie auch beim SEJ. Und dann der dritte. Und so weiter, je nachdem wie viele thematisch verwandte Artikel (oder andere Formate) sie bündeln. Und genau da liegt der Unterschied: HBR bündelt gezielt (ergo redaktionell) eine spezifische Anzahl Content Assets zu einer Experience, während es SEJ sozusagen dem System überlässt, welche und in welcher Reihenfolge die Artikel aus dem Archiv aneinandergereiht werden.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Besucher durch diese Art des “Content Bundlings” mehr lesen, als sie vielleicht ursprünglich vorhatten – solange die Empfehlungen relevant sind.
Content Bundling: Verknüpfung ausgewählter Artikel zu einem spezifischen Thema (Screenshot: hbr.org)
Einen ähnlichen Weg geht PathFactory, gestaltet das Content-Angebot allerdings etwas anders: Sie definieren einen “Content Consumption Path” für den Nutzer (siehe die Liste links im Screenshot unten). Darin bündeln sie verschiedene Inhalte unterschiedlicher Formate, die den Nutzer in seiner Customer Journey voranbringen sollen. Es geht also nicht mehr nur um thematische Relevanz wie bei HBR, sondern auch um den “Funnel” von PathFactory mit klarem Sales- oder zumindest Conversion-Ziel.
Dieser Ansatz ist besonders spannend, weil die Liste dem Nutzer signalisiert, an welcher Stelle innerhalb der Customer Journey sich dieser befindet. Das triggert womöglich das Bedürfnis des Nutzers, eine Korrektur vorzunehmen und ggf. zunächst andere Inhalte aus der List zu konsumieren (“Bringt mir dieser Content wirklich was, wenn ich die vorherigen noch nicht gesehen habe?”). Das wiederum liefert PathFactory einerseits wertvolle Informationen über die tatsächliche Customer Journey (Welche Inhalte werden zuerst konsumiert?) und stellt andererseits sozusagen sicher, dass der Nutzer mit den wichtigen Informationen in der richtigen Reihenfolge bedient wird und dadurch in seiner (Kauf)Entscheidung maßgeblich beeinflusst wird.
Magic happens with data!
PathFactory bündelt spezifische Inhalte entlang der Customer Journey in einem “Content Consumption Path” (Screenshot: PathFactory)
Doch dem Prinzip des Binge-Watching am nächsten kommen, im Vergleich zu “smart kombinierten bereits existierenden Inhalten” wie in den Beispielen bisher, gezielt als Serien produzierte Inhalte ("Serial Experiences"). Ein Parade-Beispiel für derartige Formate ist Wistia, die in Shows wie Brandwagon Humor mit wertvollen Informationen und Ratschlägen von Marketing-Experten kombinieren, um potenzielle Kunden für sich zu gewinnen. Und dafür dürfte es bei ihren Produkten wohl auch kein passenderes Format geben als Netflix-ähnlich organisierte Videos
Knackpunkt: Interne Organisation und Kommunikation
Damit solche Formen der Organisation von Content langfristig funktionieren, müssen alle Content-Schaffenden und -Nutzenden mit dem System vertraut sein und dabei unterstützen. Wer neuen Content produziert, ist auch dafür verantwortlich, ihn entsprechend zu kategorisieren, in bestehende Konsumpfade zu integrieren und vor allem die Kollegen über den neuen Content zu informieren! Denn nur wenn alle wissen, was es gibt, können sie aktiv damit arbeiten. Content, der im Marketing entstand, ist ja nicht ausschließlich dafür nutzbar… Das Vertriebsteam freut sich womöglich genauso darüber.
Am besten ist es ohnehin, wenn Content nicht “im Geheimen” von einer Abteilung geplant und produziert wird, sondern hierbei maximale Transparenz und Kollaborationsmöglichkeiten herrschen – nennen wir es “Collaborative Content Design”. Meiner Erfahrung nach können Kollegen aus unterschiedlichen Abteilungen ihre eigenen Ziele mit derselben Content-Idee erreichen, wissen aber oft nichts voneinander und arbeiten dadurch parallel an ähnlichen Themen. Dadurch entstehen doppelte Arbeit und redundante Inhalte. Ein gemeinsames Zielsystem, etwa wie Objectives and Key Results (kurz OKR), könnte schon helfen. Kombiniert mit einer gemeinsamen Content-Plattform dürfte die Effizienz und Effektivität merklich steigern.
Schritt 3: Personalisiere die Content Experience
Die vorangegangenen Beispiele sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber auch noch nicht am Ziel. Denn die Empfehlungen basieren eher auf einer systemseitigen Kategorisierung wie Tags oder definierten Funnels. Noch besser wäre es, die Empfehlungen auf Basis echter Nutzerdaten zu personalisieren, so wie es bei PathFactory denkbar ist.
Die Personalisierung ist letztendlich ein Kernbestandteil einer herausragenden Content Experience. Es geht nicht mehr nur um das was gesagt wird, sondern um die Art und Weise, wie es verpackt ist (Content Design), wie es präsentiert wird (also bspw. strukturell) und vor allem wie welcher Content empfohlen wird – vom ersten Kontaktpunkt bis hin zum Vertrieb und darüber hinaus.
Side Facts: Im Auftrag von Adobe führte das Goldsmiths College an der University of London 2017 eine Studie durch, um die Markentreue von Kunden zu erforschen. Das Ergebnis: Fast zwei Drittel der deutschen Verbraucher sind jenen Marken treu, die das Kundenerlebnis gezielt auf ihre Bedürfnisse und Vorlieben zuschneiden, ergo personalisieren. Eine weitere Erkenntnis, so Dr. Thomas Meyer, Director Digital Strategy Group bei Adobe, ist, dass “vor allem neue Technologien wie Chatbots oder Augmented Reality bei den Käufern in Deutschland hoch im Kurs stehen: 52 Prozent bevorzugen Marken, die kontinuierlich Innovationen einführen, um das Kundenerlebnis zu verbessern”. Das wiederum hat implizite Auswirkungen auf die Content-Formate und Distributionskanäle (dazu gleich mehr).
Nehmen wir diesmal Spotify als Beispiel: Sie haben erkannt, dass “Alben” – vergleichbar mit einer unternehmenszentrischen Kategorisierung von Blogs z.B. nach Publikationsdatum oder Thema – immer weniger von Interesse sind und durch “Playlists” (oder auch “Custom Listening Experiences”) als nutzerzentrierte Alternative ersetzt werden. Dabei vereint Spotify das Push-Prinzip im Sinne von “Hey, kennst du schon…?!” und das Pull-Prinzip in Form der Suchfunktion. In beiden Fällen liefert das Nutzerverhalten dem Algorithmus wertvollen Input.
Spotifys Startseite enthält sogenannte Shelves (Regale) mit einzelnen Cards basierend auf meinen Aktivitäten (Screenshot: Spotify Desktop App)
Der Algorithmus berücksichtigt bzw. optimiert auf verschiedene Metriken hin, etwa die Playlist Consumption Time mit Blick auf die Empfehlungen und der Zufriedenheit im Falle der Suche.
Die Frage, die sich mir hier stellt: Wie können wir diese beiden Prinzipien auch auf unser Content-Angebot auf einer Website adaptieren?
- Beim Push-Prinzip wollen wir unsere Ziele verfolgen, also beispielsweise dem Nutzer bestimmte Informationen liefern, ihn auf unsere Produkte und Dienstleistungen aufmerksam machen oder ihn sogar für eine Transaktion motivieren. Dabei messen wir zum Beispiel die Aufenthaltsdauer auf unserer Website, die Anzahl an Seitenaufrufen pro Besuch oder ganz allgemein gesprochen die “Journey Completion” im Sinne vordefinierter Content-Pfade. Ich vermeide an dieser Stelle bewusst den Begriff “Funnel”... Wir definieren also, welche Content-Empfehlungen wir zu welchem Zeitpunkt machen und verwenden Nutzungsdaten, um diese mit Blick auf unsere Ziele zu optimieren.
Funktioniert das händisch? Nein, eher nicht. Ein entsprechendes Content-Management- bzw. Tool zur Personalisierung ist unerlässlich; ohne eine solide Datenbasis und Machine Learning / künstliche Intelligenz kommen wir langfristig nicht weit. Eine erste Annäherung auf Basis echter Nutzerdaten wären Empfehlungen, wie wir sie aus dem E-Commerce kennen: “Andere Besucher unserer Website lasen auch…”. - Das zentrale Element beim Pull-Prinzip ist die Suchfunktion, durch die der Nutzer seine Bedürfnisse befriedigen will. Das klingt simpel, ist aber in Wahrheit deutlich anspruchsvoller, denn zunächst kennen wir die Suchintention nicht. Sucht eine Person etwas ganz bestimmtes (focussed search)? Sucht sie Inspiration (open search)? Oder will sie einfach nur mal schauen, wo der Weg sie hinführt (exploratory search)? Abhängig vom Mindset bewertet eine Person die Suchergebnisse unterschiedlich:
- Wer etwas Bestimmtes sucht will es schnell finden – oder nicht, um dann direkt woanders zu suchen und hier keine Zeit zu verschwenden.
- Wer offen ist für Ergebnisse, hat keine konkrete Vorstellung, wie diese aussehen, erwartet aber dennoch eine Befriedigung dieses Bedürfnisses – in Form einer neuen Idee, eines Impulses oder Unterhaltung.
- Wer explorativ ist, nimmt Umwege und “Aufwand” in Kauf in der Hoffnung, am Ende einen Schatz zu finden. Wir müssen sicherstellen, dass sie am Ende des Regenbogens keine Enttäuschung erwartet. ;-)
Die Herausforderung für Unternehmen liegt darin, Unzufriedenheit zu vermeiden. Denn hoher Aufwand mit zufriedenstellendem Resultat fühlt sich für den Nutzer immer besser an, als ein beliebiger Aufwand ohne anschließendes zufriedenstellendes Ergebnis. In diesem Fall definiert sich die Content Experience also vor allem am Suchergebnis.
Schritt 4: Experimentiere bei der Content Distribution
Der nächste Schritt ist die Distribution von Content. Du hast hoffentlich verständnis dafür, dass ich dieses Thema hier nicht im Detail erläutere, denn dafür gibt es einfach zu viele Möglichkeiten und es kommen immer neue hinzu. Ich verweise stattdessen auf den äußerst umfangreichen Artikel von Olaf Kopp sowie das Buch “Traction” von Gabriel Weinberg. Letzteres ist mir immer wieder eine Hilfe, um mich auf den “experimentellen Ansatz” bei der Content-Distribution zu besinnen und nicht sofort und ausschließlich bekannte Wege einzuschlagen. Erfahrung ist sicherlich hilfreich, aber noch kein Erfolgsgarant. Ich halte es immer für sinnvoll, verschiedene Marketing- bzw. Distributionskanäle zu testen und die Erfolgsgeschichten bekannter Unternehmen bestätigen diese Experimentierfreude:
Buffer hat zum Beispiel in seiner frühen Phase vor allem Gastartikel genutzt, um in relevanten Zielgruppen gesehen zu werden. Die Gründer haben insgesamt über 150 Gastbeiträge für die unterschiedlichsten Fachmedien geschrieben, bevor sie ihre Strategie änderten und mit ihrem Team anfingen, ihren eigenen Blog aufzubauen und später dann auch einen Podcast zu starten.
Canva generiert extrem viel organischen Traffic, indem sie ihre SEO-Strategie auf die beiden oben beschriebenen Push- und Pull-Ansätze in Form von Nachfrage-orientierten Landingpages sowie extrem gut strukturierten (und intern miteinander verlinkten) “Discovery Pages” einsetzen. Ross Simmonds, CEO der Content Marketing-Agentur Foundation, Inc. hat dazu eine sehr detaillierte Analyse fokussiert.
Und Blinkist setzt vor allem auf Native Advertising und Inbound Marketing, um neue Nutzer zu akquirieren, wobei das sicherlich auch der Erfahrung von Sandra Wu, Paid Content Marketing Lead bei Blinkist, geschuldet ist. Denn sie hat zuvor das Wachstum von 8fit durch dieselben Kanäle angekurbelt und ihre Herangehensweise beibehalten. Dennoch testet sie extrem viel, was die Gestaltung ihres Contents anbelangt und nutzt Daten, um Hypothesen zu validieren.
Schritt 5: Erziele Ergebnisse, oder zumindest Erkenntnisse
Dieser letzte Schritt bedarf eigentlich keiner weiteren Erklärung. Letztendlich geht es darum, durch Content deine Marketing- und/oder Vertriebsziele zu erreichen. Egal ob es dir unmittelbar um die Sichtbarkeit in Suchmaschinen (Stichwort: Rankings), die Leadgenerierung (Stichwort: Inbound Marketing), eine Transaktion im Sinne eines Kaufabschlusses (Stichwort: E-Commerce), Kundenbindung oder Markenbildung geht, du willst in jedem Fall verstehen lernen, welche Wirkung unterschiedlicher Content bei welcher Zielgruppe und auf welchen Plattformen hat. Denn ohne dieses gezielt (!) generierte Wissen (Stichwort: Testing) bist du im Grunde nicht in der Lage, vorhandene Content Assets zu optimieren und erfolgreiche zu replizieren.
Ausblick: Content Experience Prinzipien und die Frage nach der Messbarkeit
Die Frage, inwieweit sich dieser Aufwand überhaupt lohnt, sprich, wie wir die Wirkung von Content Experiences für unser Marketing bzw. Business-Wachstum messen können, werde ich in einem separaten Artikel beantworten. Ebenso, welche allgemeinen Prinzipien sich für das Design von Content ableiten lassen, um den Standard möglichst hochzuhalten bzw. immer höher zu legen, sodass durch die Content Experience das Engagement steigt.
Was du aus diesem Artikel mitnehmen sollst
- Die “Content Experience” ist die Summe aus den Erfahrungen (Vergangenheit), Erwartungen (Zukunft) und Erlebnissen (Gegenwart), die ein Konsument mit deinem Content hat.
- Ist “Content Experience” die Evolution von Content Marketing? Nein. Es hat derzeit vielleicht den Anschein eines Buzzwords, aber das, was “Content Experience” im Kern beschreibt, ist langfristig erfolgsentscheidend für alle Unternehmen, die Content für Marketingzwecke und darüber hinaus produzieren.
- Die Realität ist, dass das Schreiben von Inhalten und das Einordnen von Inhalten in einen Kontext für unser Publikum zwei sehr unterschiedliche Dinge sind. (Randy Frisch)
- Das Verständnis für Content Discovery (Wie werden Personen auf unseren Content aufmerksam?) und Konsumgewohnheiten und -präferenzen (Wie, wo, wann und mit wem lesen/hören/schauen Personen unsere Inhalte am liebsten?) des eigenen Publikums ist von entscheidender Bedeutung, denn es stellt die Grundlage für die Content-Planung und Distribution als individualisierten Service dar. Oder anders formuliert: Es ermöglicht dir genau dann zu handeln, wenn eine Person (implizit) Interesse signalisiert.
- Wie: jeder content knüpft vorher und nachher an den nächsten an, sodass es niemals “dead ends” gibt sondern der konsum ein closed loop ist. definiere für jedes asset ein follow-up
- Kunden vergleichen Marken, Produkte und Erlebnisse nicht mehr mit direkten Konkurrenten – sie vergleichen sie mit anderen (positiven) Erfahrungen, die sie gemacht haben. (Shep Hyken)
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Content Design (2. Auflage)
Mit diesem Buch lernst du die Konzeption und visuelle Gestaltung von Content holistisch zu betrachten und zielgerichtet umzusetzen.
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Robert ist Autor des Bestsellers „Content Design“ (Hanser Verlag), unabhängiger Content-Stratege und Gründer dieses Magazins (ehem. „toushenne.de“). Daneben lehrt er Content-Marketing an der FH JOANNEUM sowie Content Design an der ZHAW. Mit über zehn Jahren Erfahrung aus dem Agenturgeschäft, E-Commerce- & SaaS-Unternehmen sowie zahlreichen Freelance-Projekten mit führenden Marken wie Adobe, Bike24 und contentbird, entwickelt er wirksame Strategien für die Optimierung des Content ROI.