Verliert Content mit der Zeit an Wert? Wie sehr und welche Folgen hat das? Welche Risiken entstehen durch die Aktualisierung?
Ich stoße immer häufiger auf Diskussionen zu „Content Decay“ (aus dem Englischen „Verfall“), in denen erfahrene Content-Marketer und SEOs meine Vermutungen von vor einigen Jahren bestätigen: Inhalte, die wir nicht aktiv pflegen, verlieren stetig an Wert – meist erkennbar an sinkender Performance (etwa fallende Rankings oder weniger Traffic).
Als ich damals meine Publikationsfrequenz hier im Blog reduzierte (monatlich statt wöchentlich), hab ich mir auch die Frage gestellt, wie groß die Gefahr ist, wenn das „Durchschnittsalter“ meines gesamten Content-Portfolios zunehmend steigt?
Wenn ich von heute auf morgen 75 % seltener Content publiziere, dann altern die vielen Artikel, die ich bereits habe, im Durchschnitt schneller. Zumindest rein rechnerisch.
Der Gedanke dahinter: pro neuem Artikel veralten vier vorhandene (pro Monat). Dieses Verhältnis lag vorher bei 1:1.
Ich hab das mal in einem Diagramm abgebildet, in dem der Anstieg der „Alterungsrate“ – genauer gesagt das Durchschnittsalter des gesamten Content-Portfolios – nach Umstellung der Publikationsfrequenz ab dem 13. Monat deutlich sichtbar ist.
Diese Überlegungen sind damals unter anderem in mein Büchlein über Content-Portfoliomanagement geflossen, heute will ich sie um neue Erkenntnisse ergänzen.
Content Decay – der natürliche Lebenszyklus digitaler Inhalte
„Content Decay“ beschreibt den kontinuierlichen Wertverlust von Inhalten (primär auf Webseiten, also bspw. Blogartikel) durch nachlassende Performance – etwa fallende Rankings, sinkender organischer Traffic und in Konsequenz ein Rückgang an generierten Leads und Umsatz.
Entscheidend ist dabei der Wertverlust über die Zeit; er passiert nicht von heute auf morgen durch irgendein bestimmtes Ereignis oder äußeren Einfluss.
Hier ist ein Beispiel für einen meiner Blogartikel:
Das Chart zeigt im Zeitraum Juli 2021 bis Juni 2022 einen kontinuierlichen Abfall der Rankings – einen Content bzw. konkreter „Ranking Decay“. Die Anzahl der Search Impressions pro Tag ist dabei von anfänglich 400 auf ca. 250 gesunken.
Das mag mit Blick auf die CTR und den tatsächlichen Traffic auf der Website zwar vielleicht keinen großen Impact haben, in Summe aller unserer Inhalte geht uns da im Laufe der Zeit aber einiges verloren. Im schlimmsten Fall etwas, was wir für eine „sichere Bank“ in puncto Marketing hielten.
Mit Blick auf den „Life Cycle“ unserer Inhalte sollten wir in der Lage sein, diesen Abwärtstrend frühzeitig zu erkennen – zum Beispiel mithilfe entsprechender Ranking-Monitoring-Tools.
Ein typischer Verlauf besteht dabei aus vier Phasen:
- Anfängliches Momentum (mögliche Einflussfaktoren: Zeit bis zur Indexierung, SERP-Tests, Distribution direkt nach der Veröffentlichung)
- Wachstum (beeinflusst z. B. durch Klicks aus der Suche, Backlinks, Social Shares etc.)
- Höhepunkt oder Performance-Plateau (z. B. weil keine Ranking-Steigerungen mehr möglich sind, keine neuen Backlinks hinzukommen und wir im Grunde das volle Potenzial aus „organic search“ ausschöpfen)
- Verfall (mögliche Gründe siehe unten)
In meinem Beispiel sind die ersten beiden Phasen nicht sichtbar, da die Google Search Console Daten nicht weit genug in die Vergangenheit reichen. Den Höhepunkt (oder Zeitraum der höchsten durchschnittlichen Performance) können wir aber grob im August 2021 verorten und den Tiefpunkt – kurz vor dem Artikelupdate – Anfang Juli 2022.
Die Balance zwischen Produktion und Optimierung finden
Denselben Verlauf wie im Beispiel oben erhalte ich bei der Betrachtung weiterer Artikel, sodass ich auf Basis dessen die durchschnittliche Dauer der einzelnen Phasen für meine Inhalte definieren kann.
So kann ich quasi ab dem Tag der Publikation schon antizipieren, wann ich einen Artikel überarbeiten muss, um seine Performance aufrechtzuerhalten.
Das würde ich zwar nicht pauschalisieren, es gibt uns mit Blick auf unser gesamtes Content-Portfolio aber ein gutes Verständnis dafür, wie die Balance zwischen der Produktion neuer Inhalte und der Optimierung vorhandener Inhalte zeitlich gesehen aussehen könnte.
Gründe für den Wertverlust unserer Inhalte und was wir dagegen tun können
Content decays in performance over time because the landscape changes. Your competitors aren’t sleeping. Topics aren’t static. The bar for organic traffic constantly rises.
Dass unser Content mit der Zeit an Wert verliert, kann verschiedene Gründe haben: das Alter bzw. die Aktualität (siehe den Abschnitt zur „Content Freshness“ unten), Veränderungen im Wettbewerb (heißt vor allem Websites mit hoher Autorität oder vielen Backlinks) oder dem Interesse der Konsument:innen. Wo anfangs vor allem allgemeine Informationen relevant waren, steigt mit der Zeit bspw. der Bedarf an tiefergehenden Informationen.
Ein Beispiel:
- Früher: Was bringt Content-Marketing?
- Heute: Was bringt Content?
Das wirkt vielleicht nicht wie ein großer Unterschied, setzt aber eine massive Weiterentwicklung im Verständnis über die Wirkung von Content im Businesskontext voraus („Content wirkt nicht nur im Marketing“), der in der Zeit dazwischen passiert. Thematisiert du demnach künftig Content nicht mehr nur im Marketingkontext, sondern bspw. auch aus der Sicht von Vertrieb, Service, HR, Produktentwicklung oder Management, dürfte der Wert deiner Inhalte steigen – schon allein deshalb, weil du dadurch deine Zielgruppe erweiterst.
“Freshness Distance” – ein Google Rankingfaktor?
„Content Freshness“ beschreibt die Distanz zwischen dem jüngsten (auch: zuletzt aktualisierten) und ältesten Suchergebnis auf der ersten Seite. Ross Hudgens, Gründer von Siege Media hat diesen Begriff vor allem deshalb eingeführt, um einem möglichen Rankingfaktor der Google Suche einen Namen zu geben.
Seine Theorie ist, dass wir es schwer haben werden, mit Content zu ranken, der außerhalb dieser Distanz liegt, ergo älter ist, als das älteste Ergebnis in den SERP. Oder anders ausgedrückt: Die Freshness Distance ist ein Indikator dafür, in welchem zeitlichen Abstand (Zeitraum) wir unsere Inhalte aktualisieren müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Sieh dir das folgende Beispiel an: Auf der Suche nach den besten Laufschuhen (Suchbegriff: „beste laufschuhe“) wird uns keine Seite angeboten, die nicht mindestens dieses Jahr aktualisiert wurde – die Freshness Distance beträgt großzügig kalkuliert also ca. 12 Monate.
Das verwundert wenig, wer will schließlich „alte“ Schuhe kaufen …
Dennoch unterscheiden sich die Suchergebnisse im Alter um bis zu sechs Monate, was für Suchende durchaus relevant sein kann. Denn im Juli erscheint in der Regel die Herbst/Winter-Kollektion, die auch neue Laufschuhe beinhaltet. Ältere Seiten sind ab dann also nicht mehr aktuell und bieten Suchenden nicht die beste Entscheidungsgrundlage – denn der „beste“ Laufschuh, speziell für die Winterzeit fehlt womöglich in der Liste.
Eines sollten wir ohnehin nicht vergessen: Die Suche (konkret „SEO“) ist nicht zwangsläufig der einzige oder wichtigste Distributions- bzw. Akquisitionskanal.
Ich verweise gerne nochmal auf das Bullseye Framework und die Tatsache, dass Suchmaschinen nur ein Traction Channel unter vielen ist. Content Decay ist ein „SEO-Problem“, hat aber nicht zwangsläufig Auswirkungen auf andere Kanäle wie Events, Communities, Werbeanzeigen oder Word-of-Mouth, denn dort gelten ganz andere Wirkmechanismen.
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Traction: How Any Startup Can Achieve Explosive Customer Growth
Gabriel Weinberg, Justin Mares
Ein Framework, um die effektivsten Marketingkanäle zu identifizieren und Unternehmenswachstum zu erzeugen.
Das Content-Alter wirkt nicht nur negativ, sondern kann auch vorteilhaft sein
Wir sollten dementsprechend nicht nur die vermeintlich negativen Auswirkungen von Content Decay auf unsere Rankings berücksichtigen, sondern auch potenzielle Auswirkungen durch entsprechende Gegenmaßnahmen auf andere Bereiche sowie grundsätzlich positive Effekte.
Welche positiven Auswirkungen hat das Alter unserer Inhalte z. B. auf unsere Autorität, Glaubwürdigkeit oder Vertrauenswürdigkeit? Oder anders formuliert: Verlieren wir Autorität, wenn nicht ersichtlich ist, wie lange wir uns schon mit einem Thema beschäftigen? Welche Relevanz hat der Content-Output aus der Vergangenheit?
Im Zweifelsfall fahren wir besser zweigleisig, aktualisieren Content regelmäßig und passen das Datum („der letzten Aktualisierung“) an, ergänzen für Leser:innen aber stets einen Hinweis auf die inhaltliche Entwicklung, so wie bspw. in meinem Artikel über Content Design (siehe Screenshot unten). Denn es kann durchaus ein Vertrauen stiftender Faktor sein, dass wir uns schon lange mit einem Thema auseinandersetzen. Aus einem unscheinbaren Hinweis kann so ein wertvoller Treiber für unsere Autorität werden.
Was können wir tun, um den Negativtrend unserer Content-Performance aufzuhalten und umzukehren?
Den Trend habe ich im obigen Beispiel und ähnlichen Fällen wie gesagt durch ein Content-Update, genauer gesagt die Überarbeitung des Artikels umkehren und bis dato auf einem konstanten Performance-Niveau halten können.
Ein solches Update kann verschiedene Maßnahmen umfassen:
- Update und Korrektur vorhandener Inhalte – insbesondere veraltete Statistiken, Studien, Zahlen oder Trends, wobei vor allem der Umgang mit Letzteren strategische Überlegungen impliziert.
Staying updated with time and trends is crucial. The world is constantly changing. Publishing content is only half of the work done. Maintaining it and curating it according to the target audience and market trend to keep it afresh makes the content long-lasting and relevant.Ein Beispiel: Adobe publiziert jährlich Creative Trends. Diese Artikel jedes Jahr zu überarbeiten, sodass lediglich die aktuellen Trends enthalten sind, ist nicht unbedingt die beste Lösung. Denn für Konsument:innen kann es durchaus interessant sein, die Entwicklung über die letzten Jahre – ergo durch die Artikel der Vorjahre – nachzuvollziehen. Eine bessere Lösung könnte es sein, einen Content Hub zum Thema zu erstellen und von dort aus alle Trend- bzw. hier auch saisonale Artikel zu verlinken (siehe Adobe Stock). Das ist im Sinne der Nutzer:innen und dürfte auch mit Blick auf Rankings zielführend sein. Das gilt speziell dann, wenn sich mit der Zeit mehrere Artikel zum selben Thema angesammelt haben, die sich womöglich kannibalisieren.
- Kennzeichnung der Aktualität z. B. durch Ergänzung einer Jahreszahl im Titel, wie hier im SEMrush Blog, um Suchenden schnell ein Relevanz-Signal zu senden. Wer will schon SEO-Tipps „von gestern“?! Das gilt umso mehr bei produktbezogenen, ergo kommerziellen bzw. transaktionalen Suchanfragen, etwa die Suche nach dem besten OLED Fernseher – heute, nicht von vor drei Jahren.
- Inhaltliche Veränderungen im Sinne sowohl der Reduktion (irrelevante Teile entfernen) als auch der Erweiterung (neue, relevante Aspekte ergänzen), Vereinfachung der Sprache sowie den angebotenen Formaten (z. B. ergänzende Bilder, Audios, Videos etc.). Die Kolleg:innen von Take Off PR ranken bspw. mit einer PDF-Datei in den Top 10 für die Suche nach „email marketing checkliste“:
- Inhalte strukturieren und um entsprechende strukturierte Daten wie schema.org ergänzen. Das erhöht zum einen die Chance auf Featured Snippets in den Suchergebnissen, vereinfacht aber auch den Konsum der Inhalte an sich und fördert die Interaktion (als weiterer indirekter Rankingfaktor). In meinem Artikel(update) über Content Audits hab ich bspw. eine FAQ-Liste ergänzt:
Welche Veränderungen den Wert tatsächlich steigern, weil sich dadurch bspw. die Rankings verbessern oder die Conversion Rate auf einer Seite steigt, finden wir am ehesten über gezielte Experimente heraus. Lies dir dazu am besten meine Artikel über Content-Testing und Content Recycling durch. Und natürlich mein Buch … ;-)
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Content Decay – eigentlich nur ein Begriff für ein Problem, dass wir längst adressieren, oder?
Content Decay an sich ist keine neue Entdeckung. Wir alle, die regelmäßig die Performance unserer Inhalte kontrollieren, haben dieses Phänomen schon beobachten können. Jetzt hat es allenfalls einen tollen Namen erhalten. ;)
Dennoch halte ich es für ein wichtiges Konzept, dass jede:r Content-Verantwortliche kennen sollte, denn:
- die Content Freshness – und noch besser die in Echtzeit kalkulierte Freshness Distance – ist eine wertvolle Ergänzung im Content Inventar, ebenso eine Information zum letzten Content-Update (v. a. Datum und Beschreibung der Veränderungen);
- die Länge des Lebenszyklus ist ein nützlicher Aspekt bei der Planung unserer Inhalte, weil wir dadurch bei der Verteilung unserer Ressourcen ergänzend zur Produktion neuer Inhalte die Überarbeitung vorhandener berücksichtigen können.
- es bestärkt Content-Portfoliomanagement als strategischen Ansatz, bei dem wir vorhandene Inhalte bewusst und aktiv nutzen, und jederzeit in der Lage sind, auf Veränderungen im Markt reagieren zu können. Content-Strategie ist nicht statisch, sondern dynamisch.
4 Aspekte von erfolgreichem Content-Portfoliomanagement
Im Rahmen eines Gastvortrags an der Hochschule Ansbach hab ich das Konzept von Content-Portfoliomanagement vorgestellt – hier ist die Aufzeichnung:
Weiterführende Inhalte und Tool-Hinweise
- Für alle, die Python programmieren können und sich mit APIs auskennen, hat SEO Notebook-Autor Steve Toth eine smarte Lösung, um Freshness Distance zu monitoren. Ansonsten sind natürlich alle gängigen Keyword- bzw. Ranking-Monitoring-Tools von Nutzen, allen voran die Google Search Console (aus der auch die Screenshots meiner Daten stammt).
- Nate Turner von tenspeed hat sogar ein Content Decay Forecasting Tool (Google Spreadsheet) entwickelt, mit dessen Hilfe wir notwendige Content-Updates antizipieren und entsprechend planen können.
- Das i-Tüpfelchen im Tech-Stack wäre dann noch ein Tool wie contentbird oder Clearscope mit eingebauten Content-Editor, mit deren Hilfe wir im Text verwendete Keywords regelmäßig optimieren können. Der Vorteil: Die Bewertung im Tool ist nicht statisch, sondern basiert auf den Top-10- oder 20 Suchergebnissen, und auch die ändern sich mit der Zeit. So ein Content Score (siehe links im Screenshot) kann also durchaus als Qualitätsstandard dienen.
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Robert ist Autor des Bestsellers „Content Design“ (Hanser Verlag), unabhängiger Content-Stratege und Gründer dieses Magazins (ehem. „toushenne.de“). Daneben lehrt er Content-Marketing an der FH JOANNEUM sowie Content Design an der ZHAW. Mit über zehn Jahren Erfahrung aus dem Agenturgeschäft, E-Commerce- & SaaS-Unternehmen sowie zahlreichen Freelance-Projekten mit führenden Marken wie Adobe, Bike24 und contentbird, entwickelt er wirksame Strategien für die Optimierung des Content ROI.