“Mehr Wachstum, mehr Kunden, mehr Erfolg” – der Untertitel des 2017 in der Erstauflage beim Rheinwerk Verlag erschienen Buches zum Thema Growth Hacking klingt vielversprechend…
Dabei ist Growth Hacking, auch in der Marketingbranche, gefühlt noch eher ein Buzzword als eine greifbare Disziplin. Damit steht sie aber genau genommen auch nicht alleine dar, daher sollten wir das Thema nicht voreilig verurteilen. Die Autoren Tomas Herzberger und Sandro Jenny tragen durch ihr Buch zumindest eine einleuchtende Definition bei:
“Growth Hacking ist ein interdisziplinärer Mix aus Marketing, Datenanalyse und Entwicklung. Das einzige Ziel von Growth Hacking ist das Wachstum eines Unternehmens. Dafür wird ein Prozess zugrunde gelegt, der die schnelle Identifikation von skalierbaren Kommunikationskanälen ermöglicht.”
Das klingt auch gleich viel besser als die verlagseigene Beschreibung des Buches. Denn mit “geringstmöglichen Aufwand an Zeit, Geld und Manpower einen maximalen Marketingeffekt” zu erzielen ist zwar wünschenswert, aber nur selten eine praktikable Herangehensweise.
Aus dem BWL-Unterricht an der Uni wissen wir es doch eigentlich besser: Entweder machen wir aus gegebenen Mitteln das Beste (Maximalprinzip) oder versuchen ein konkretes Ziel mit möglichst geringem Aufwand zu erreichen (Minimalprinzip). Das “Mini-Max-Prinzip” betitelte mein Dozent damals schon als “Schwachsinnsprinzip” und ich würde ihm heute noch zustimmen. Eine detaillierte Beschreibung der besagten Prinzipien findest du hier.
In der Hoffnung, dass wir uns alle auf Wachstum als das übergeordnete Ziel einigen können (siehe auch mein Artikel über Growth Marketing), wollen wir über diesen sprachlichen Fehlgriff hinwegsehen und einfach mal ins Buch reinschauen.
Aus Gründen der Transparenz sei vorab gesagt, dass mir der Rheinwerk Verlag regelmäßig neue Fachbücher zur Verfügung stellt. Ich werde durch dieses Sponsoring jedoch in keiner Weise in meiner Meinung beeinflusst. Ich rezensiere Bücher stets nach bestem Wissen und Gewissen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass mich die Autoren in diesem Buch zitiert haben und auf meine eigene Arbeit verweisen. :-)
Was du aus diesem Buch lernen wirst
- Vorteile und Funktionsweise von Growth Hacking
- Voraussetzungen für erfolgreiches Growth Hacking
- Der Growth Hacking Workflow
- Akquisition, Aktivierung und Erhalt neuer Nutzer und Kunden
- Weiterempfehlungen und Umsatz generieren
Ein gelungener Einstieg ins Thema
Der erste “richtige” Kapitel über die Wirkungsweise von Growth Hacking ist ein gelungener Einstieg ins Thema. Die Autoren etablieren einen Kontext in Bezug zu Marketing und anderen Methoden wie bspw. Lean Startup oder Bootstrapping und steigen gleich mit ersten – und den wahrscheinlich bekanntesten, weil erfolgreichsten – Growth Hacking Beispielen von Dropbox oder Airbnb ein.
Besonders gut gefällt mir der kurze Abschnitt über T-shaped Professionals, die in der heutigen Marketing- und Business Development-Welt immer häufiger gesucht werden, aber noch immer selten anzutreffen sind. Das in Kombination mit Kreativität und einem Growth Mindset bildet eine sehr gute Ausgangslage für die folgenden Kapitel
Seitenfüllende Grundlagen und die Verknüpfung von Theorie und Praxis
Kapitel 3 trägt die Überschrift “So stellst du die Weichen auf Wachstum” und ist an sich durchaus sinnvoll, thematisiert es doch Grundlagen wie die Zielgruppendefinition, Wettbewerbsanalyse oder Positionierungsstrategien. Ich finde es allerdings etwas lächerlich im Rahmen des Persona Building bereits bei einfachen Mitarbeitergesprächen als Quelle wertvoller Insights vom “Frage deine Mitarbeiter”-Hack zu sprechen. Solche Formulierungen tragen doch erst dazu bei, dass die ganzen Online-Quellen über Growth Hacking nicht ernst genommen werden und Interessierte unsicher sind, wie sie sich dem Thema denn nun am besten nähern sollen.
Das vierte Kapitel ist da schon greifbarer, beschreibt es doch sehr anschaulich den eigentlichen Prozess – bzw. die unterschiedlichen Methoden, derer sich Growth Hacking bedienen können.
Schon hier verknüpfen die Autoren Theorie mit Praxis und erläutern bspw. mithilfe welcher Tools sich der Prozess organisieren oder Ergebnisse messen lassen. Mir persönlich geht der Fokus etwas verloren, da zwischendrin von Facebook Pixeln und Marketingkanälen die Rede ist, die auf den ersten Blick erstmal nichts mit dem Prozess zu tun haben.
Content Marketing & Conversion Optimierung
Die nächsten Kapitel “Acquisition” und “Activation” konzentrieren sich auf Content und Suchmaschinenoptimierung. In diesem Zusammenhang von Hacks zu sprechen, hat irgendwie einen faden Beigeschmack, da ersteres erfahrungsgemäß eher langfristig sein volles Potenzial entfaltet und letzteres in diesem Sinne bitte nicht mit Blackhat assoziiert werden sollte. Das ist aber nur meine Meinung. Wer sich in diesen Themen weniger gut auskennt, hat wahrscheinlich auch weniger Bedenken. ;-)
Grundlegend sind das Bereiche, die in diesem Gesamtwerk nicht fehlen dürfen, sind sie doch integraler Bestandteil einer Online-Strategie. Ebenso Landingpages und ganz allgemein die Conversion Optimierung. Das ein Buch, geschweige denn ein Kapitel, ausreicht, um dieses Thema ausreichend zu diskutieren, leuchtet hoffentlich ein. Die Autoren schaffen es dennoch, einen guten Überblick über wichtige Handlungsfelder darzustellen.
Die folgenden Kapitel über Retention und Referral reihen sich nahtlos in das Schema ein. Highlights konnte ich zwar keine finden, dafür aber viele wichtige Aspekte und Beispiele. Leider hat bei diesen hin und wieder die Tiefe gefehlt, durch die sie als echte “Hacks” klassifizierbar wären oder in einem größeren Kontext stünden. So ist etwa von Gary Vaynerchuks “Magic Moments” die Rede, die Details zum beschriebenen Beispiel fehlen jedoch. (Hier die Story zu den Eiern.)
Generell bin ich der Meinung, dass im Buch zu oft von “Hacks” gesprochen wird, die per Definition eigentlich keine sind. Bei einem “Schotten-Hack” beispielsweise assoziiere ich zunächst Whisky, Highlands, Kilts oder Braveheart, am Ende beschreiben die Autoren damit aber lediglich eine simple Rabattaktion im Online-Shop. Es mag in diesem Fall vielleicht tatsächlich ein Hack sein, aber er hätte auch Studenten- oder Schwaben-Hack heißen können.
[Womöglich nehm ich das als Halbschotte auch einfach zu persönlich… ;-)]
Mein Highlight: Die Work Hacks
Das Beste kommt zum Schluss, heißt es ja immer und in diesem Fall habe ich mich wirklich sehr darüber gefreut. Denn zum Abschluss ergänzen die Autoren sogenannte “Work Hacks”. Viele Growth Hacking Beispiele sind genau das, Beispiele, und lassen sich eben nicht von jedem eins zu eins anwenden. Work Hacks in Bezug auf Selbstorganisation, den Umgang mit Ablenkung oder dem Aufgabenmanagement hingegen schon. Für mich wäre dies ganz klar das erste Kapitel. Denn zuallererst sollten wir an uns selbst arbeiten und, auch wenn nicht jedermann diese Meinung teilen wird, uns selbst optimieren (bis zu einem gewissen Grad).
Fazit – Growth Hacking ist, nicht nur als Buch, mit Vorsicht zu genießen
Das Buch von Tomas und Sandro liefert unzählige Gründe, sich mit dem Thema Growth Hacking zu beschäftigen. Die vielen Beispiele veranschaulichen das Potenzial sehr eindrucksvoll, ich hätte mir an manchen Stellen aber eine Verallgemeinerung oder zumindest einen Hinweis auf die Replizierbarkeit sowie eine Bewertung gewünscht. Oder sind grundlegend alle aufgeführten Beispiele positiv?
Growth Hacking ist mehr ein Mindset und ein Prozess als das Kopieren erfolgreicher Hacks aus der Vergangenheit. Doch dafür sind Marketer leider viel zu anfällig geworden und suchen scheinbar immer häufiger nach “dem Weg zum schnellen Erfolg”. Das ist Growth Hacking aber nicht. Der Erfolg eines Hacks lässt sich kaum vorhersehen und die meisten Versuche scheitern. Es kostet also Zeit und Nerven, wenn nicht sogar Geld. Auch wenn ich jetzt wie ein Spielverderber klinge, sollten wir das nie vergessen.
Wer sich dessen jedoch bewusst ist und dies zu akzeptieren bereit ist, der sollte sich dieses Buch bestellen. Es steckt viel Wissen und Erfahrung der Autoren darin und wird dem findigen Marketer durchaus Anregungen liefern können, neue Wachstumspfade zu betreten.
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Über die Autoren
Tomas Herzberger hat Medienwirtschaft in Wiesbaden sowie Digital Storytelling in den USA studiert und ist seit 2014 als selbstständiger Berater und Interim Manager tätig. Dabei hilft er innovativen Unternehmen, durch Digitales Marketing zu wachsen.
Sandro Jenny hat ursprünglich Mediengestaltung gelernt und ist heute bei der Fundraising Company in Fribourg (CH) als Head of Graphic Design & Digital Fundraising angestellt. Neben seiner beruflichen Tätigkeit beschäftigt er sich mit Themen wie User Centered Design und programmiert selber Templates und Plugins für Wordpress und Drupal.
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Robert ist Autor des Bestsellers „Content Design“ (Hanser Verlag), unabhängiger Content-Stratege und Gründer dieses Magazins (ehem. „toushenne.de“). Daneben lehrt er Content-Marketing an der FH JOANNEUM sowie Content Design an der ZHAW. Mit über zehn Jahren Erfahrung aus dem Agenturgeschäft, E-Commerce- & SaaS-Unternehmen sowie zahlreichen Freelance-Projekten mit führenden Marken wie Adobe, Bike24 und contentbird, entwickelt er wirksame Strategien für die Optimierung des Content ROI.